Der Bastard von Tolosa / Roman
in der Tat, um die Weisheit Allahs zu hinterfragen? Es war Sein Wille, dass aus mir kein Kaufmann wurde, sondern ein Verbrecher und entlaufener Galeerensklave. Mein Brandmal macht mich zum Freiwild für jeden Muslim. Ich überlebe nur unter dem Schutz des Christenheeres. Sollten Muslime mich jemals zu fassen kriegen und mein Brandmal entdecken, das wäre mein Ende. Keine Galeere diesmal. Sie würden mich pfählen oder lebendig vierteilen. Ein entlaufener Sklave dient nur noch zur Abschreckung für andere.«
»Willst du sagen, dass mein Entschluss dich zwingt, mir zu folgen?«
»Nein, nein! Natürlich nicht.« Er lächelte nachsichtig. »Ich kann weiter Bertran dienen oder mich den Byzantinern als Söldner anbieten. Doch in Wahrheit hält mich nichts hier, das wollte ich dir sagen.«
»Es ist ein großer Schritt. Überlege es dir gut.«
»Ihr Christen des Westens, ihr seid die Zukunft!«
»Hältst du uns nicht für Barbaren?«, erwiderte ich erstaunt.
»Und mit Recht.« Er lachte über meinen Gesichtsausdruck. »Byzantiner und Araber haben euch vieles voraus, ob an Gelehrsamkeit, Kunstfertigkeit oder Lebensart. Euch wie auch den Türken. Die aber achten wenigstens den Koran, das Kalifat und die Lebensweise der Muslime. Deshalb dulden wir sie notgedrungen. Heutzutage scheint die Welt den Barbaren zu gehören, in letzter Zeit besonders euch Latinern. Ihr breitet euch überall aus. Ihr seid dabei, viel zu erreichen. Das, was euch an Wissen mangelt, werdet ihr lernen.« Er schüttelte den Kopf. »Vor Jahrhunderten hat die Botschaft des Propheten ähnlichen Eifer geweckt und zu großen Eroberungen geführt. Aber inzwischen ist der Islam zerstritten, durch Bruderkriege und den Einfall der Türken geschwächt. Die Kalifen sind entmachtet. Die arabischen Fürsten leben im Überfluss und kümmern sich mehr um den eigenen Genuss als um ihren Glauben. Das Kämpfen überlässt man Söldnern oder Sklaven.«
»Glaubst du, wir werden Outremer halten können?«
»Für eine Weile gewiss. Der fränkischen Reiterei haben die Moslems wenig entgegenzusetzen. Doch dieser Vorteil wird mit der Zeit schwinden. Bedeutender ist die Wildheit und Entschlossenheit bis hin zur Selbstaufgabe, die eurer Rasse eigen ist. Dies und der blindwütige Glaube an eine göttliche Sendung machen euch unwiderstehlich. Aber meine Antwort auf deine Frage lautet dennoch nein. Über kurz oder lang, irgendwann werdet ihr hier aufgeben müssen. Dieses Land ist zu zerrissen. Niemand kann es befrieden. Hier streiten sich die Völker seit Abrahams Zeiten. Alle wollen ein Stück dieser blutgetränkten Erde, warum, weiß nur Allah. Außerdem kann niemand so gut hassen wie die Moslems. Sie werden euch am Ende mit ihrem Hass besiegen.«
»Warum willst du dann zu uns kommen?«
»Weil ihr anders seid. Ihr denkt und lebt freier. Ihr habt Könige, doch Despoten sind euch zuwider. Ihr seid ewig uneins und haltet doch zusammen, wenn es nottut. Ihr ringt miteinander. Nicht nur um Macht, sondern auch um unterschiedliche Auffassungen auf der Suche nach Erleuchtung. Ihr verbrennt eure Ketzer, und doch sind sie Suchende. Ihr solltet sie ehren. Bei uns gibt es nichts mehr zu suchen oder zu entdecken. Der Koran ist der Weisheit letzter Schluss. Und das ist bedauerlich.« Er atmete tief durch und lächelte dann. »Nein, hier hält mich nichts, und ich bin neugierig auf euer Land. Bisher habe ich nur eure Krieger kennengelernt. Nun will ich sehen, wie ihr wirklich lebt.«
»Na schön, aber sei dir darüber im Klaren, das Leben eines Fremden unter Fremden ist nicht leicht.«
»Das ist wahr. Aber seit meine Glaubensbrüder mich verstoßen haben, sind Christen die besten Freunde, die ich habe. Wenn ich überhaupt eine Familie habe, dann seid ihr das, du und Adela. Deshalb war auch Nouras Tod für mich schwerer, als du glauben magst.«
Ich drückte seine Hand. »Du bist uns mehr als willkommen!«
»Da ist noch etwas, das mir wichtig wäre.« Er schaute etwas verlegen drein. »Ich habe euch zugehört, heute nach der Bestattung. Und ich denke ebenso wie die anderen. Ich wünsche mir schon lange ein anderes Leben. Du weißt, eigentlich war ich ja nie zum Krieger geboren.«
»Dafür hast du dich aber wacker geschlagen«, erwiderte ich lachend.
Er lächelte scheu und strich seinem Pferd sanft über den langen Nacken.
»Du kennst meine Liebe zu Pferden. Wenn du mir ein Stück von deinem Land verpachten könntest, dann würde ich gern Pferde züchten. Ihr Franken kommt hier immer
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