Der Bastard von Tolosa / Roman
sagt:
Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.
«
Man hörte sie unten fröhlich wiehern. Ein rechter Spaßvogel, dieser Nemo. Aber ein
vilan
war er nicht, eher ein heruntergekommener Ritter.
»Dann komm her und hol es dir!«, höhnte ich.
»Wir warten einfach, bis Ihr verdurstet seid.«
Hamid und ich sahen uns bedeutungsvoll an.
»Er hat nicht unrecht«, murmelte ich.
Alexis hatte mich gehört und machte ein unglückliches Gesicht. Entweder harrten wir aus in der Hoffnung auf ein Wunder oder versuchten, uns mit Gewalt durchzuschlagen. Dass ich das in Begleitung meiner Tochter ungern wagen würde, war vermutlich Teil ihrer Berechnung. Andererseits, je länger wir warteten, desto mehr Zeit würde es ihnen verschaffen, noch mehr herrenlose Galgenvögel zusammenzuziehen. Von denen gab es sicher genug in diesen Bergen.
»Er hat nicht unrecht«, wiederholte ich. »Zumindest aus seiner Sicht.« Hamid hatte das Zwinkern in meinen Augen entdeckt und zog die Augenbrauen hoch.
»Was hast du vor?«
»Sattelt im Schutz der Steine auf.«
Alexis und Brun entfernten sich eilig. Cortesa begann, die Decken zusammenzurollen und unsere Satteltaschen zu packen.
»Recht hast du, Nemo!«, schrie ich, um die Kerle abzulenken. »Wir sitzen in der Falle. Wie der Fuchs im Bau.« Dabei lachte ich lauthals, als kümmere es mich nicht im Geringsten. Und dann hatte ich eine plötzliche Eingebung. Mal sehen, wie lieb und teuer ihm seine Leute waren. Ich war hinter den jungen Enric getreten, packte ihn am Haar und legte ihm meinen Dolch an die Kehle.
»Nemo!«, kreischte der Junge vor Entsetzen. »Nemo! Sie bringen mich um!« Ich sägte noch ein wenig an seinem Hals, nicht, um ihn wirklich zu verletzen, auch wenn es ein bisschen blutete. Doch es half, dass er noch lauter und herzzerreißender jammerte.
Da brüllte Nemo von unten: »Lasst den Jungen in Ruhe! Enric, wir holen dich da raus!«
Ich nahm das Messer von seiner Kehle. »Ist er dein Vater?«
»Nein.« Enric schluchzte, und seine Stimme zitterte.
»Scheint aber sehr um dich besorgt zu sein.«
Er antwortete nicht, starrte mich nur voller Angst an. Ich musste ihm wie der Leibhaftige vorkommen. Brun und Alexis kamen mit den Pferden und begannen, die Tiere zu satteln. Ich gab ihnen ein Zeichen, dass wir den Jungen mitnehmen würden, und entsprechend verteilten sie die Bürde der Lasttiere.
»Enric!«, scholl es von unten. »Wer lebt sonst noch, Enric?«
Der Junge sah mich fragend an, und ich nickte. »Berard und Luc. Sie sind verwundet«, rief er zurück. »Und Joan. Aber er …« Seine Stimme verließ ihn.
»Nemo!«, rief ich. »Weißt du, wer ich bin?«
»Ein vorlauter Edelmann mit zu viel Gold in den Satteltaschen.«
»Ich bin Jaufré Montalban von Rocafort.«
»
Tu mentes.
Wen glaubst du, belügen zu können? Der Mann ist längst tot, und seine Gebeine modern bei den Sarazenen.«
Was faselte der Kerl da? »Nein, nein! Ich bin zurück,
per Dieu!
Es ging mir nie besser, wie du siehst. Nur eines verspreche ich dir und schwöre es beim Rosenkranz der Jungfrau Maria. Von der dicksten Eiche auf meinem Land wirst du baumeln. Die Raben werden dir die Augen aushacken, Geier dein Aas fressen, und den Rest werden die Ameisen von den Knochen putzen.«
»Was seid Ihr doch für ein Verseschmied, Herr Edelmann!«, scholl es herauf. »Gleich bringen wir eine Laute und spielen eine Weise dazu.« Man hörte vereinzeltes Lachen.
»Wir hängen schon mal deinen Enric hier, was meinst du?«, rief ich. Darauf wurde es still da unten.
Adela bestieg ihre Stute, und Cortesa hievte sich schwerfällig in den Sattel. Meine Gefährten packten Enric und zerrten ihn zu seinem Reittier.
»Nemo!«, schrie der Junge voller Angst, denn er wusste nicht, was wir vorhatten.
»Lasst ihn laufen!«, kam es von unten. »Wenn Ihr dem Jungen auch nur ein Haar krümmt, bringen wir euch alle um, ich schwöre es!«
»Er wird nur vorausgehen und euch schon mal den Weg zur Hölle zeigen.« Dazu lachte ich herzlos.
Brun und Alexis fesselten ihm die Füße unter dem Bauch des Pferdes, so dass er nicht fliehen konnte. Mit seiner Wunde wäre er ohnehin kaum weit gekommen. Alle außer mir saßen schon im Sattel. Hamid sah mich fragend an.
»An ihnen kommen wir nicht vorbei. Was hast du vor?«
»Hast du schon einen Fuchsbau ohne Schlupfloch gesehen?«, raunte ich. Er grinste belustigt. Laut rief ich, damit sie es unten hören konnten: »Legt ihm den
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