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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Dorf zu reiten.
    Wir hatten weiter östlich den Agli überquert, der in dieser Gegend nicht viel mehr als ein breiter Bach ist, und uns dem Dorf über die Felder genähert, um den Zollposten an der Straße zu vermeiden. Es war alles ganz ähnlich wie in den Bildern, die ich in meinem Herzen bewahrt hatte. Vielleicht ein paar neue Hütten, eine Rodung, die ich nicht kannte. Nur die Burg kam mir weniger mächtig und das Dorf kleiner vor als in der Erinnerung. Beide lagen vor uns in Stille gehüllt, nichts rührte sich. Selbst die Dorfköter schienen zu schlafen.
    »Ich schau mich mal um.«
    Ich erhob mich und bewegte mich leise am Rand der Wiese entlang bis zur Schmiede. Eine Seite der Werkstatt lag offen zugänglich zur Dorfmitte hin, und man konnte trotz der Dunkelheit den Blasebalg unter der Decke, die Feuerstelle und den großen Amboss erkennen. Werkzeug und Material lagen ordentlich aufgeräumt an ihrem Platz, so wie Drogos Vater es ihm eingebleut hatte. Ich musste mit den Tränen kämpfen, denn für uns Jungs war die Schmiede der aufregendste Ort im ganzen Dorf gewesen. Auf einmal spürte ich wieder den beißenden Geruch angebrannten Horns in der Nase, wenn Pferde beschlagen wurden, sah Funken sprühen, wo der schwere Hammer traf, und hörte das Zischen, wenn rotglühendes Eisen in den Wasserbottich getaucht wird. Der Schmied war der wichtigste Mann im Dorf. Und der wohlhabendste. Sie kamen von weit her, um seine Kunstfertigkeit in Anspruch zu nehmen, und Drogos Vater Albin war der Fürsprecher des ganzen Dorfs gewesen, wenn es etwas mit Cecilia zu regeln gab. Sie mochte die Herrin der Burg sein, aber im Dorf oder unter den Bauern ging nichts ohne den Schmied.
    Plötzlich schreckte ich auf, denn da war Bewegung im Wohnbereich des Hauses, und jemand hustete sich den Morgenschleim aus der Kehle. Schnell trat ich in den Schatten einer Nachbarhütte. Ein Mann wankte schlaftrunken bis zum Misthaufen und entleerte mit dampfendem Strahl seine Blase.
    »Hier kann sich ja jeder einschleichen«, sagte ich gerade laut genug, als er seine Kleider wieder geordnet hatte. Der Mann drehte sich erschrocken um, musterte mich eindringlich, aber es dauerte eine Weile, bis es ihm schließlich dämmerte.
    »Jaufré? Bist du das?«, fragte er ungläubig und starrte mich völlig entgeistert an. »Nein, ist es denn möglich?
Que deable!
Du siehst so anders aus.«
    Ich legte den Finger auf die Lippen. »Leise. Wir wollen niemanden wecken«, raunte ich. »Komm erst mal her, du Satansbraten.«
    Wir fielen uns in die Arme.
    »Mon Dieu, mon Dieu!«,
rief er immer wieder kopfschüttelnd und wollte mich gar nicht mehr loslassen. »Dass du lebst! Ich kann es nicht glauben!«
    Und da heulten wir beide und fielen uns erneut in die Arme. Es dauerte eine Weile, bis wir uns wieder gefasst hatten, dann trat Drogo einen Schritt zurück. Er war ein großer, kräftiger Mann mit behaarten Armen, hellbraunen, zotteligen Haaren und einem kurzen Bart, der ein kantiges Gesicht umrahmte, inzwischen weit entfernt von dem kleinen Jungen, der mein ewiger Spielkamerad gewesen war. Und doch war sein breites Grinsen dasselbe geblieben.
    »Lass dich anschauen«, sagte er und wischte sich die Tränen von der Wange. Er befühlte das Tuch meines Umhangs und ließ die Augen an mir hinabgleiten. »Ich sehe, es geht dir gut. Waffen vom Feinsten. Du bist gesund und, verdammt noch mal, nicht mehr der pickelige Bursche von damals.« Dabei grinste er von einem Ohr zum anderen. Dann streckte er die Hand aus, und sein Finger folgte der Narbe auf meiner Wange.
    »Gezeichnet bist du, vom Krieg«, sagte er nachdenklich. Wir sahen uns lange an. Drogo hatte die kräftigen Muskeln, die man vom Schwingen des schweren Hammers bekommt, Narben auf dem Handrücken vom Funkenflug, und unter den Nägeln hatte er Ränder vom feinen Kohlestaub, den man auch mit der Bürste kaum wegbekommt. Aber ein Mann auf der Höhe seiner Lebenskraft.
    »Wir haben dich alle für tot gehalten, Jaufré.«
    Es war nicht als Vorwurf gemeint. Dennoch senkte ich den Blick. »Ich kann es mir denken.«
    »Und die anderen?«
    Ich sah ihm in die Augen und hob die Schultern. »Es hat niemand überlebt, Drogo.«
    »Man hat sich schon lange damit abgefunden«, seufzte er. »Wir hörten Geschichten von mörderischen Schlachten, Pestilenz und Hungersnot.«
    Ich nickte. »Sei froh, dass dir das erspart geblieben ist.«
    Er zog eine schmerzliche Grimasse. »Ich habe mich immer dafür gehasst, dass ich nicht mit dir geritten

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