Der Bastard von Tolosa / Roman
dünn geworden, die Knöchel knotig, die Muskeln zu Strängen verkommen. Dabei hatte ich ihn noch größer und kräftiger als Drogo in Erinnerung. Im Überschwang zog ich einen Dolch von meinem Gürtel. »Dies habe ich für dich mitgebracht. Eine Schmiedearbeit aus Damaskus. Sieh dir diesen Stahl an. Ist er nicht unvergleichlich?«
Andächtig nahm er den Dolch in seine gichtigen Hände und betrachtete das Stück mit leuchtenden Augen von allen Seiten. Dann gab er ihn mir zurück. »Das kann ich nicht annehmen, Herr! Zu kostbar für einen alten Mann.«
»Ich bestehe darauf«, sagte ich und steckte ihm den Dolch in den Gürtel. »Oder weißt du wirklich nicht, wie oft ich dich bestohlen habe.« Drogo und ich hatten Werkzeug, Nägel und Eisenteile entwendet, um heimlich damit Schilde und Speere zu fertigen, mit denen wir geübt hatten.
»Wenn das so ist«, sagte er grinsend, »dann nehme ich dein Geschenk als Bezahlung an.« Er schob einen sommersprossigen Jungen vor, vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. »Das ist mein Enkelsohn. Er wird ein guter Schmied werden. Sein Vater hat ihn Jaufré getauft, damals, als Ihr fortgezogen seid. Zur Erinnerung an Euch, Herr.«
Ich nahm die Hand des Jungen in die meinen. »Dann will ich gern dein Pate sein, Jaufré.«
Nun traten andere vor und berührten scheu meine Kleider oder hauchten Küsse auf meine Hände. Berard, der Schäfer, Lois und Peire, beides Bauern in meinem Alter, und viele mehr. Ich konnte die Gesichter, die mich neugierig umgaben und mit Rufen und Fragen bedrängten, gar nicht schnell genug erkennen und einordnen. Doch auf einmal sah ich mitten in der Menge ein verhärmtes Frauengesicht, aus dem mich böse Augen anstarrten.
»Hier bist du wieder in deiner ganzen Pracht,
Senher
Montalban«, fauchte sie. »Mit silberner Rüstung und schönen Pferden. Bringst Geschenke gar. Ich möchte nicht wissen, wie viel Gold und Seide in diesen Ballen ist.« Sie deutete auf die beladenen Pferde. »Aber sag mir, was ist mit unseren Söhnen, he? Mit Bennot, meinem Kind? Und Brun und Enric und all den anderen, die mit dir gehen mussten?«
Vereinzelt nickten und murmelten Leute ihre Zustimmung zu diesen Worten und schauten gespannt, was ich antworten mochte. Ich erinnerte mich an diese Frau, eine Witwe. Bennot war ihr einziger Sohn gewesen. Fragen wie ihre hatte ich mir oft genug selbst gestellt, ohne eine Antwort zu finden.
»Sie sind tot, Elena. So wie auch ich eigentlich tot sein müsste«, entgegnete ich ihr ruhig. »An Gelegenheiten hierzu hat es wahrlich nicht gemangelt.«
»Und doch bist du hier, und unsere Kinder liegen, wer weiß wo, bei den Heiden verscharrt!« Es war ein Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit der Welt. Tränen des Zorns standen in ihren Augen.
»Gott hat es so bestimmt«, sagte Drogo sanft zu ihr.
»Sie sind für unseren Heiland gestorben«, rief eine junge Frau.
»Was weißt denn du schon, Bruna?«, rief Elena aufgebracht. »Halt den Schnabel und kümmere dich lieber um deinen Mann, damit er aufhört, in fremden Gärten zu wildern.«
Das brachte alle zum Lachen, und derbe Scherze flogen hin und her, bis die angesprochene Bruna mit rotem Kopf dastand. Die Witwe Elena drehte sich giftig um, warf ihren schwarzen Umhang fester um die Schultern und ging erhobenen Hauptes davon.
Mit Trauer im Herzen sah ich ihr nach.
Plötzlich scholl ein Ruf durch die Menge. »
La Domna, la Domna!
Da kommt die Herrin!«
»Fast jeden Morgen reitet sie aus«, raunte mir Drogo ins Ohr.
Ich schaute auf und erkannte drei Reiter, die sich uns im Schritt den steilen Weg von der Burg her näherten. Zwei waren bewaffnete Kriegsknechte mit Schild und Helm und langen Speeren. Der Dritte, auf einem hübschen Schecken, ritt ihnen voraus, und erst bei näherem Hinsehen sah ich, dass es eine Frau war. Sie trug Männerkleider, eine einfache Tunika mit einem Umhang aus schwerem Tuch darüber, wollene Beinkleider, die in Stiefeln steckten, und einen wetterbeständigen Filzhut, wie ihn die Jäger gerne tragen.
Die Reiterin gab ihrem Pferd die Sporen und näherte sich im Trab, während die Menge ihr bereitwillig eine Gasse öffnete. Wenige Schritte vor Drogo und mir zügelte sie den Gaul und kam zum Stehen. Während das Pferd unruhig tänzelte, starrten blaugrüne Augen streng auf uns herab.
»Was geht hier vor, Drogo? Wer sind diese Leute?«
Der Schecke wollte nicht still stehen und lenkte Bertas Aufmerksamkeit ab. Während sie mit der einen Hand die Zügel straff hielt, sprach sie
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