Der Bastard von Tolosa / Roman
läuft. Ähnlich ist die Wasserversorgung auf der Burg geregelt, denn einen Brunnen gibt es auf dem Felsen nicht. Für die meiste Zeit des Jahres ist dies ausreichend, außer in den trockenen Monaten, wenn Wasser vom Agli auf Eselsrücken geholt werden muss.
Ich fragte nach Joana, meiner Amme. Sie sei wohl im Wald bei ihrem Köhler, hieß es. Und auf die Frage, was sie bei einem Köhler zu suchen hätte, gab es anzügliche Blicke und ausweichende Antworten. Ich sandte ein paar Dorfjungen, sie zu suchen, und am frühen Nachmittag tauchte sie endlich auf. Völlig außer Atem stürzte sie ins Haus und warf sich weinend in meine Arme.
»Jes, mon Dieu!«,
stieß sie keuchend hervor. »Dank sei der Mutter Gottes und allen Heiligen im Himmel! Du bist heil und gesund zu mir zurückgekehrt.« Sie schluchzte in meinen Armen und wollte sich lange nicht beruhigen. »Wie habe ich dafür gebetet. Jeden Tag.« Ein neuer Tränenstrom lief ihr die Wangen hinunter und netzte meine Tunika. Ich hielt sie fest umschlungen, wie ich es als Kind getan hatte. Gott im Himmel, dachte ich, sie riecht immer noch so gut wie früher, als tausend Erinnerungen und Gefühle mich überschwemmten.
»Ich hätte früher …«, stammelte ich verlegen.
Sie umfasste mein Gesicht mit beiden Händen. »Ja, was hat dich bloß so lange aufgehalten, Junge? Aber nun ist es gleich, nun bist du hier, und ich kann endlich wieder glücklich sein.« Mit diesen Worten zog sie meinen Kopf zu sich herunter und küsste überschwenglich mein Gesicht.
Als ich ihr meine Tochter vorstellte, fiel sie mit einem Aufschrei über Adela her und herzte sie ebenso lang und ausgiebig. Das Mädchen war dem Ansturm kaum gewachsen, aber bald sonnte sie sich in Joanas Bewunderung und Herzenswärme. Alles wollte Joana sofort wissen, und Adela erzählte von Tripolis und von ihrer Mutter. Und dabei gab es erneute Tränen, als sie das Kind tröstend an ihrem Busen wiegte.
»Nun bist du hier bei uns,
mon petit anjol
«, sagte sie. »Deine Mama können wir nicht ersetzen, aber hier soll es dir gutgehen. Ich kümmere mich um dich, wie ich mich um deinen Vater gekümmert habe, als er noch kein so kriegerisches Mannsbild war.« Dabei zwinkerte sie ihr fröhlich zu.
Joana war von mittlerer Größe und schon immer etwas rundlich gewesen, mit einem üppigen Busen und kräftigen Waden gesegnet. Sie trug ein einfaches Leinenkleid mit einem breiten, weichen Gürtel um die Hüften, darüber ein gesticktes Mieder. Ihr kräftiges, dunkles Haar, nun von grauen Strähnen durchzogen, fiel ihr, nur von einem Band gehalten, frei den Rücken hinab, im Gegensatz zu den meisten Matronen, die ihr Haar züchtig bedeckten.
Aber dann erinnerte ich mich. Sie trug keine Haube, weil sie ja nie verheiratet gewesen war. Sie hatte ein weiches, ausdrucksvolles Gesicht mit kräftigen Augenbrauen und einem leichten Schatten auf der Oberlippe. So sehr verändert hatte sie sich nicht, außer, dass sie mit den Jahren noch rundlicher geworden war und dass es nun viele Fältchen in ihrem Gesicht gab, die sich beim Lachen von ihren braunen Augen aus in alle Richtungen ausbreiteten. Wie hatte ich sie doch als Kind geliebt, meine
noiriça!
Ich stellte ihr Hamid vor. Sie war erstaunt über seine dunkle Haut. »Vergebt mir, fremder
Cavalier
«, sagte sie, »aber ich habe noch nie einen
sarasin
gesehen.« Dabei lachte sie und hieß ihn herzlich willkommen. Hamid nahm Adela bei der Hand, um das Dorf zu erkunden, denn er spürte, ich wollte mit Joana unter vier Augen reden.
»Was höre ich da von einem Köhler«, begann ich scherzhaft.
»Ferran?«, erwiderte sie etwas zu unbekümmert.
»Heißt er so?«
»Er ist vor Jahren hier aufgetaucht und suchte Arbeit. Berta hat ihm erlaubt, Holz in den Wäldern zu schlagen und die Schmiede mit Kohle zu versorgen.«
»Und du besuchst ihn.«
»Ich bin viel im Wald, Jaufré. Ich sammle Pilze oder Kräuter. So trifft man sich.« Plötzlich streckte sie mir die Zunge raus und lachte. »Frag nicht so viel!«
»Liebst du ihn?« Ich war selbst über die Frage überrascht, denn dass Joana einen Mann lieben könnte, wäre mir bis dahin nie in den Sinn gekommen. Noch überraschender war die allzu weibliche Geste, mit der sie rätselhaft lächelnd eine Haarlocke hinters Ohr strich.
»Ob ich ihn liebe?«, wiederholte sie seufzend meine Frage. »Ach, Jaufré. Ich habe mich immer nur um dich, um Cecilia, das Dorf und um Berta gekümmert. Dabei bin auch ich eine Frau. Ich hatte es selbst schon fast
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