Der Bastard von Tolosa / Roman
mein Großonkel, sondern mein Großvater. Eine Verlogenheit, die mich eher abgestoßen hatte. Doch in Wirklichkeit nicht einmal das! Er war überhaupt nicht mit mir verwandt, wie ich jetzt wusste, sondern ein Mann, der geschickt den Fehltritt seines Herrn versteckt hatte wie den eigenen. Und seine Tochter war nicht meine Mutter. Nichts war, wie es schien in dieser Familie, die gar keine war. Es ist sehr verwirrend, wenn die Fundamente des eigenen Lebens plötzlich als Lügengebilde in sich zusammenstürzen. Wer war ich, verflucht?
Als ich Adas Bild zurück in die Truhe legte, fiel mir ein Gegenstand auf, den ich gut kannte. Ein großer eiserner Schlüssel, der schwer in meiner Hand wog. Und bei seinem Anblick legten sich plötzlich die Verwirrung und der Aufruhr in meinem Herzen. Blitzartig verdichtete sich alles zu einem Plan. Noch einmal nahm ich das Bildnis zur Hand und küsste es. Danke, Ada! Gott hatte mir durch sie den Schlüssel zu Rocaforts geheimen Gang zugespielt. Darin erkannte ich Seinen Fingerzeig. Nun wusste ich, was zu tun war.
Während ich den Schlüssel einsteckte, hörte ich leichte Tritte auf der Stiege.
»Adela?«, rief ich. »Bist du das?«
Jemand stieg ohne Antwort weiter zur Zinne empor.
Ich schloss die Truhe und folgte nach, um zu sehen, wer es sein mochte. Nach dem Halbdunkel im Turmgemach blendete mich das grelle Sonnenlicht, so dass ich die Lider zusammenkneifen musste.
Es war Berta. Mit den Händen auf den rauhen Stein der Zinne gestützt, starrte sie hinaus in die verunstaltete Landschaft.
»Mon Dieu!«,
flüsterte sie zutiefst betroffen.
Ich folgte ihrem Blick. Wo gestern noch goldene, erntereife Felder gewesen waren, beschmutzte jetzt der schwarze Aussatz hässlicher Brandmale die grüne Landschaft. Mitten in dieser ausgedehnten Trostlosigkeit fanden sich die Reste niedergebrannter Scheunen und Bauernhütten, aus denen noch dünne Rauchfahnen in den Himmel stiegen. Auf den Hängen darüber reckten ganze Wälder von verbrannten Bäumen ihre schwarzen Äste in den Himmel. Riesige verkohlte Flächen hatte das Feuer aus dem Hang gefressen bis weit hinauf unter den Berggipfel. Der Waldschaden war beträchtlich. Welche weiteren Opfer an Mensch und Tier dieser sinnlose Akt der Zerstörung gekostet hatte, wagte ich mir nicht auszumalen.
»Mon Dieu!«
Berta schlug vor Entsetzen die Hände vors Gesicht. Lange blieb sie so stehen. Dann ließ sie die Hände sinken und sah bleich und mit tränengefüllten Augen wieder auf die Landschaft.
Im klaren Licht der Sonne versuchte ich nüchtern, den Schaden einzuschätzen. Fast alle Felder in der Nähe des Dorfes schienen verbrannt zu sein. Ich zählte mindestens sechs zerstörte Höfe in der näheren Umgebung. Die Hütten ließen sich rasch wieder aufbauen, und den Feldern tat die Asche sogar gut, wenn wir sie unterpflügten. Doch der Verlust der Kornfrucht würde uns im kommenden Winter hungern lassen, denn mehr als Kürbis und ein bisschen Kohl würde nicht bleiben, wenn der Feind nicht auch diese Felder zertrampelt hatte. Besonders schlimm war der Verlust von Olivenbäumen und Weingärten. Es würde Jahre dauern, bis sie sich davon erholten.
Aber es gab auch Hoffnung, denn weiter draußen waren noch Weizengelb und die ordentlichen Reihen anderer Feldfrüchte zu erkennen, so dass ich schätzte, dass etwa die Hälfte unseres Anbaus unversehrt geblieben war. Vorläufig jedenfalls.
»Womit haben wir das verdient?«, flüsterte Berta immer noch fassungslos. »Wo war der gerechte Gott in dieser Nacht? Wie konnte er das zulassen? Und wie kann es sein, dass heute Morgen die Sonne scheint und die Vögel singen, als wäre nichts geschehen? Macht Er sich lustig über uns?«
»Den Feind auszuhungern oder seinen Besitz zu zerstören ist bei Fehden nicht unüblich.«
Was für eine einfältige Bemerkung, dachte ich und biss mir auf die Lippen. Als wüsste ich nicht selbst, dass dies keine einfache Fehde, kein kleiner Grenzstreit zwischen Nachbarn war. Warum, zum Teufel, machte mich Bertas Gegenwart in letzter Zeit so linkisch und unbeholfen?
»Es passt zu Ricard«, fügte ich lahm hinzu.
»Wer ist dieses Ungeheuer?«, fragte sie flüsternd.
Ich senkte den Blick und erwiderte verlegen: »Er gehört zu meiner neuen Verwandtschaft. Er ist mein Vetter.«
Sie sah mich ungläubig und mit weit aufgerissenen Augen an, als wäre ich selbst ein Ungeheuer.
Ich erzählte, was ich von Bertran erfahren hatte. Dass Ricards Mutter die uneheliche Halbschwester
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