Der Bastard von Tolosa / Roman
lebte also nicht mehr. Als sollte kein Ton ihrer Kehle entweichen, so fest hielt sie die Hand an den Mund gepresst. Aber ihre Augen quollen über vor Tränen. Dann ertrug sie es nicht mehr und lief davon, um mit ihrem Schmerz allein zu sein.
»Und Ramon?«, fragte ich kläglich, das Schlimmste fürchtend.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Nein, Herr. Ihn haben wir nicht gesehen. Sie müssen ihn noch auf der Burg festhalten. Die anderen Leichen trieben mit durchschnittener Kehle im Fluss.«
»Que Dieu nos ajut!«,
flüsterte ich und spürte, wie mir das Blut aus den Wangen wich.
Die Ermordung der Geiseln war wohl die Vergeltung für unseren Hinterhalt. Ein schrecklicher Gedanke, und fast wurde es mir schlecht vor bitterer Galle. Die Rechnung auf Ricards Kerbholz stieg ins Unermessliche.
»Wurdet ihr gesehen?«, fragte ich, nachdem ich mich gefasst hatte.
»Nein, Herr. Aus Furcht, die
pezos
könnten uns entdecken, wagten wir nicht, die Toten zu bergen.«
»Ihr habt recht gehandelt. Gott wird sich ihrer Seelen annehmen.«
Die Späher hatten beim Wachwechsel von unserem kurzen Kampf am Morgen erfahren und berichteten nun, dass nach der Rückkehr ihrer Reiter das feindliche Lager abgebrochen worden war und sich Ricards Mannschaften allesamt hinter die Mauern der Burg zurückgezogen hatten. Nur ihre Reiter streiften durch die Felder, vielleicht, um auf den abgelegenen Höfen nach Nahrung zu plündern.
»Geht jetzt ans Feuer und lasst euch zu essen geben. Und morgen haltet weiter Ausschau.«
Voller Wut und Trauer machten wir uns marschbereit.
Ich wollte den Abstieg über die steilsten Stellen möglichst noch bei letztem Tageslicht hinter uns bringen. Später in der Nacht von Ricards Reitern entdeckt zu werden, das fürchtete ich weniger. Mehr beunruhigte es mich, das Lager nur von wenigen Wachen beschützt zurückzulassen. Doch das ließ sich nicht ändern. Ich vertraute darauf, dass Ricard in der Zwischenzeit nichts unternehmen würde, denn nach dem Hinterhalt heute Morgen würden sie sich kaum in die Wälder trauen.
So leicht wie möglich wollten wir marschieren. Vier Reservepferde trugen zusätzliche Waffen, besonders Lanzen, Speere, Pfeile und einige Schilde, um die im Kampf zerhauenen zu ersetzen. Jeder Mann trug seinen Wasserschlauch, Wegzehr und Bettrolle, ansonsten nur das Nötigste. Ich ließ sie antreten und nahm ihre Ausrüstung in Augenschein. Einem gaben wir einen besseren Helm, ein anderer bekam festeres Schuhwerk. Einem dritten hatte sein Weib so viel an Wegzehr eingepackt, dass es drei Mann eine ganze Woche lang ernährt hätte. Ich befahl ihm, den Überschuss auf andere zu verteilen.
Schließlich waren wir bereit, und ich trat zu Berta, um mich zu verabschieden. Wir gingen ein paar Schritte, um unter uns zu sein.
»Ich will versuchen, Robert zu überraschen«, sagte ich.
»Viel Glück!«, antwortete sie erstaunlich kühl und unbeteiligt.
»Viel Glück?«
»Ja, natürlich.«
»Das ist alles, was du zu sagen hast? Viel Glück?«
»Was willst du mehr?«
»Ein wenig mehr Anteilnahme und Gefühl hätte ich mir schon gewünscht«, antwortete ich leicht gereizt.
»Bin ich dir etwa nicht verliebt genug?«, rief sie plötzlich aufgebracht. »Soll ich mich dem Helden tränenüberströmt an die Brust werfen? Ist es das, was du willst?«
Sprachlos starrte ich sie an. Was, zum Teufel, war nur in sie gefahren?
»Und was hätte ich davon? Sag mir das!« Ihre Augen blitzten angriffslustig. »Wenn du verlierst, ist ohnehin nichts mehr von Bedeutung. Dann sterben wir genau wie Rosa und die anderen. Und solltest du wider Erwarten siegen …«, sie suchte einen Augenblick nach Worten, »… solltest du siegen, dann ist wenigstens das Dorf gerettet. Ja, ich wünsche dir Erfolg, Jaufré. Kämpfe gut. Für Rocafort und das Dorf.«
»Nicht für uns?«
Sie wandte sich ab, um mich nicht ansehen zu müssen. »Ich habe nachgedacht«, erwiderte sie tonlos. »Du und ich, wir haben in Wahrheit keine Zukunft.«
»Was redest du da?«, flüsterte ich entgeistert.
»Ich rede von diesem verdammten Erbe!«, stieß sie zornig hervor. »Darum geht es euch allen doch nur. Robert, deinem Onkel Odo, selbst diesem zerlumpten Mönch. Und natürlich dir! Gib es zu! Du hast jetzt nur deine glorreiche Zukunft im Kopf. Was macht es schon, wenn dafür Menschen sterben müssen.«
»Du verkennst mich.«
Sie blickte mich zornig über ihre Schulter an. »Hast du nicht stundenlang mit dem Prior getuschelt und den Brief von deinem
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