Der Bastard von Tolosa / Roman
Während ich auf Ghalibs Rücken durch die Nacht ritt, spielte ich lange mit der Vorstellung, allen den Rücken zu kehren, vor allem Berta. Ich malte es mir aus, wollte die grimmige Befriedigung darüber spüren. Doch gleichzeitig wusste ich, dass ich das niemals tun würde. Nicht ein zweites Mal.
Ich kam zur Besinnung und nahm die vertrauensvollen Gesichter um mich wahr, die mir scheu zulächelten. Im Geiste hörte ich wieder das Neugeborene im Lager schreien. Frauen und Kinder, die um uns bangten und sich in der Nacht in den Zelten aneinanderklammerten, um ihre Angst zu besiegen. Ich, für meinen Teil, konnte natürlich gehen, wohin es mir beliebte, aber die Menschen hier, wohin sollten sie fliehen? Sie hatten nur diesen einen Flecken Erde, an den sie nach Gesetz und Brauch gebunden waren. Ich blickte auf die jungen Bauernburschen an meiner Seite. Sie waren bereit, für mich und ihr Dorf zu kämpfen. Konnte ich anderes tun?
Ich holte tief Luft. Was blieb uns also übrig, als
fortuna
herauszufordern und sich dem Kampf zu stellen?
Als der Weg breit genug geworden war, gesellte sich Hamid an meine Seite. »Hast du endlich genug Trübsal geblasen?«
»Es tut mir leid, aber der üblen Laune gewisser Weiber ist schwer zu entkommen«, gab ich griesgrämig zur Antwort.
»Ach, ihr habt euch mal wieder gestritten«, stellte er mit einem leicht gequälten Seufzer fest. Mir wollte das Herz vor Liebesgram zerspringen, und für ihn war es nur wieder so ein kleiner Ehezwist, ein lästiges Gezänk. Das ärgerte mich. Es ärgerte mich sogar gewaltig. Doch plötzlich erschien mir das Ganze aus einer anderen Sicht. Hier kämpften wir ums Überleben, Gefährten wie Hamid und Guilhem setzen freiwillig Leben und Gesundheit für mich aufs Spiel, und das Schicksal so vieler lag in der Waage, nicht zuletzt das meiner Kinder. Da waren mein Mut und wacher Kopf gefragt, stattdessen schmollte ich über privates Liebesglück. Fast war es zum Lachen. Kein Besserer als Hamid, um alles ins rechte Licht zu rücken.
»Wer das verdammte Zölibat erfunden hat«, knurrte ich, »der wusste zumindest, wie man seinen Seelenfrieden erhält.«
Ich atmete tief durch. Es ging mir besser. In der Dunkelheit sah ich Hamids weiße Zähne, als er zu mir herübergrinste.
»Warum soll es dir bessergehen als uns anderen?«
Ich warf ihm einen neugierigen Blick zu.
»Redest du etwa von Magdalena?«, fragte ich leise.
Er brummte etwas, das ich als Zustimmung auslegte.
»Aber sie ist doch schon vergeben.«
»So ist es«, sagte er missmutig.
Dass ich nicht der Einzige war, tat irgendwie gut. Ich klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Zwei alte Haudegen wie wir und beim ersten Liebesgefecht werden wir aufs Kreuz gelegt.«
»Amor no es guerra.«
Er zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Und es gibt sicher Schlimmeres.«
»Ich sage dir«, spottete ich, »uns Männern macht zu sehr der Schwanz zu schaffen!
Retenir los colhons,
den alten Schwengel aus allem raushalten, das ist das Sicherste.« Darüber mussten wir lachen. Ich spann den Gedanken weiter. »Ja, Zölibat ist vielleicht nicht die schlechteste Lösung. In Jerusalem wurde vor kurzem ein kriegerischer Orden gegründet, die
Arme Ritterschaft vom Tempel Salomons.
Sie wollen die Pilgerstraßen schützen. Vielleicht sollten wir uns anschließen.«
»Meinst du, sie nehmen Moslems?«
»Warum nicht? Ob du zu Allah betest oder zu Christus, was ist der Unterschied? Aber im Ernst, Hamid. Glaubst du nicht manchmal, dass Freundschaft unter Männern mehr wert ist als Liebe zu einem Weib? Auf Freundschaft ist Verlass, und mit ihr lässt sich Großes erreichen.«
»Freundschaft ist gut, aber unvollständig.«
Ich musste zugeben, dass es stimmte. »Womit wir wieder bei den
colhons
wären«, sagte ich und lachte.
»Sag mal«, lenkte er das Gespräch auf unsere nächstliegende Aufgabe, »hast du eigentlich einen Plan?«
»Ob ich einen Plan habe?«, fragte ich entrüstet.
Wenn wir eines vom alten Sant Gille gelernt hatten, Gott verfluche seine Seele, dann war es planen. Seine verbissene Beharrlichkeit gegenüber jedem Hindernis, durch Berge und Wüsten immer einen mühseligen Schritt nach dem anderen zu setzen, sich jeder Herausforderung mit Mut und Witz zu stellen. Und immer hatte er einen Plan gehabt. Erwies der sich als schlecht, dann machte er einen neuen. Niemals aufgeben. Nur so hatten wir den langen Weg nach Jerusalem überstanden und trotz aller Widrigkeiten gesiegt.
Dum spiro spero.
Die Hoffnung stirbt
Weitere Kostenlose Bücher