Der Bastard von Tolosa / Roman
Streitmacht vorzutäuschen. Diese verrückte List war erfolgreich, denn dem Statthalter muss der Schreck so in die Glieder gefahren sein, dass er sich noch in der Nacht auf Schiffen mit seiner gesamten Truppe davonmachte. Morgens öffneten die Bewohner uns die Stadttore. Die Handvoll Rudersklaven auf der Hafenmole, darunter auch Hamid, hatte man in der Eile vergessen.
Trotz Pilets Verbot wollten einige Soldaten am Hafen ihren Spaß mit einer jungen Frau treiben, deren Pech war, ihnen über den Weg zu laufen. Unbewaffnet und noch in Ketten, warf sich Hamid dazwischen. Sie hätten ihn erschlagen, wäre ich nicht zufällig zur Stelle gewesen, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. Ich befreite ihn von seinen Fesseln, und es schien irgendwie natürlich, dass er sich mir anschloss, zumal ein Leben unter Muslimen wegen seiner Kennzeichnung als Verbrecher nicht mehr möglich war.
Ja, Hamid hatte Schlimmeres erlebt als ich.
»Weißt du, sie starb damals mit einem Lächeln auf den Lippen.« Seine Augen sahen mich an und schienen mich doch nicht zu sehen. »Ich habe lange darüber nachgedacht. Vielleicht war es eine Gewissheit, dass es das wert gewesen war … trotz allem.«
Ich starrte ihn verständnislos an.
»Die Zeit mit Noura kann dir niemand nehmen«, sagte er.
Wir betranken uns besinnungslos in dieser Nacht, bis jeder sich eine Ecke suchte und in dumpfen Schlaf versank.
***
Heisere Männerstimmen und Pfiffe gellten über das zertrampelte Übungsfeld. Trotz des Taus auf den Halmen stieg Staub zwischen den Beinen der Männer auf. Schweiß troff von roten Gesichtern, und ich konnte ihren schweren Atem und halb unterdrückte Flüche hören.
Soeben hatten sie den morgendlichen Lauf in voller Kampfausrüstung hinter sich gebracht. Einige wankten noch vor Anstrengung, als Ausbilder sie schon wieder zur Aufstellung brachten. Es hallten Befehle, vierhundert Füße stampften, Schildränder stießen hohl gegeneinander, und Waffen klirrten. Die Ausbilder brüllten, wenn es nicht schnell genug ging, oder schlugen mit langen Stöcken auf Schild und Helm, um Trödler in Reih und Glied zu treiben.
Cans d’Arnaud,
Arnauds Hunde, so wurden sie von den Rekruten genannt. Tatsächlich ähnelten sie bissigen Hirtenkötern, die ihre Herde zusammentrieben.
Ich schloss kurz die Augen. Unerträglich grelles Sonnenlicht hatte mich heute Morgen viel zu früh geweckt. Mit geschwollener Zunge und pelzigem Gaumen war ich aufgestanden, um meine Notdurft zu verrichten. Bei der kleinsten Bewegung hatte sich mein Hirn beschwert, als stäche jemand mit heißen Nadeln hinein.
Mein sanfter Fußstoß in Hamids Richtung hatte ihm nur ein Stöhnen entlockt, gefolgt von derben Verwünschungen, und dann hatte er sich auf die andere Seite gerollt und wie tot weitergeschlafen. Ihm, der selten Wein trank, musste es noch schlimmer als mir ergehen.
Trotz der frühen Jahreszeit war es an diesem Morgen nicht kalt, denn eine kräftige Frühlingssonne erwärmte die Erde. Fetzen einer noch frischen Seebrise und der scharfe, kurze Ritt hierher hatten ein wenig geholfen, mir die Spinnweben aus dem Hirn zu blasen. Auch die Hunde liebten den Auslauf. Aber jede ruckartige Bewegung fühlte sich an, als träfe der Pferdefuß des Teufels meinen Kopf. Ich verfluchte unser Gelage vom Vorabend und versuchte, den Bemühungen der Männer auf dem Übungsplatz zu folgen.
Arnaud bestand auf gnadenlosem Drill, um den Neulingen die verbesserten Kampfweisen einzubleuen, die sich in den Schlachten gegen die Türken als wirkungsvoll erwiesen hatten. Schnelligkeit und Beweglichkeit der
cavalaria
waren natürlich seit jeher entscheidend. Während türkische Reiter auf Pfeil und Bogen setzten, suchten unsere den Nahkampf mit der Lanze. Dabei half die bessere Panzerung, die wir trugen, und eine längere und gewichtigere
lansa
war in Gebrauch gekommen, die man zum Angriff unter den Arm legte. Das erfordert mehr Kraft, erzielt aber bei enger Gruppierung der Reiter die notwendige Schockwirkung.
Fußtruppen bestehen in der Heimat meist aus schlecht bewaffneten Bauern, die man möglichst schnell wieder auf die Felder entlassen muss, um Ernteausfälle und Hungersnöte zu vermeiden. Ständige Söldnerheere können sich nur reiche Fürsten leisten. Überhaupt sind größere Aufmärsche und Schlachten ein Wagnis und werden für gewöhnlich vermieden. Herkömmliche Kriegsmacht stützt sich daher auf sichere Burgen, schnelle Reiterausfälle und gezielte Beutezüge, um den Feind durch
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