Der Bastard von Tolosa / Roman
zum Glück entkommen und hatte alles hinter mir gelassen. Was wollte Odo von mir nach all den Jahren? Ich hatte ihn geliebt, den herrschsüchtigen Greis. Aber ich war immer noch zornig auf ihn und auf meine edle Frau Mutter. Beide hatten sich damals gegen mich verbündet.
Bertran tat, als bemerke er meine Verlegenheit nicht. Er erklärte mir lang und breit, dass er mit vielen Leuten aus der Heimat Briefe austausche, um auf dem Laufenden zu bleiben. Er meinte, diese Briefwechsel könnten nicht schaden. Wer weiß, wie das Schicksal spiele, eines Tages würde man ihn in Tolosa vielleicht wieder brauchen. Dabei grinste er listig. Dann erzählte er, dass Odo de Monisat im Machtkampf der Brüder Guilhem und Raimon um die Vorherrschaft in Tolosa der Vertraute seines Onkels Guilhem gewesen war.
»Er stand sozusagen auf der anderen Seite«, stellte Bertran fest. »Ein schlauer Fuchs, dein Oheim. Du weißt sicher, dass das Haus Tolosa sich immer gut mit den Bischöfen gestellt hat, oder? Die bilden in ihren Diözesen ein natürliches Gegengewicht, um die einheimischen Grafen in Schach zu halten, du verstehst.
Divide et impera!
Das ist bewährte Tolosaner Politik. Raimon hatte also den alten Guifred in der Tasche, Vorgänger deines Onkels im Amt des Erzbischofs. Die beiden haben so einiges zusammen ausgeheckt. Bis Guifred starb. Und weil Papst Gregor nicht noch einen von Raimons Kandidaten wollte, ihn deshalb sogar mit dem Kirchenbann belegte, ist es Guilhem gelungen, gegen den Willen meines Vaters deinen Oheim auf den Sitz des Erzbischofs zu heben.«
»Das ist mir alles neu«, sagte ich. »Ich weiß nur, dass bei uns immer in höchsten Tönen von
Coms
Guilhem gesprochen wurde.«
»Es ist wirklich lange her. Etwa zu der Zeit, als meine Mutter ins Kloster ging. Da war ich noch ein Dreikäsehoch …«
»Aber warum soll Odo Euer Feind sein?«
Bertran lachte. »Ach, mit dem alten Zwist habe ich eigentlich nichts zu tun. Zu meiner Zeit als Stellvertreter meines Vaters und Verweser der Grafschaft, Onkel Guilhem war ja schon lange tot, da hat dein Oheim sich wenig in die Politik gemischt. Und wenn, dann nur als Unparteiischer. Wir hatten einen nicht unfreundlichen Umgang miteinander. Ich habe immer seine Klugheit geschätzt. Allerdings hat der alte Borcelencs ihn dazu gebracht, mir mit Exkommunikation zu drohen, wenn ich nicht der guten Elvira das Feld räumen würde.«
Es war das erste Mal, dass ich diesen Namen hörte, und hätte besser zugehört, wenn ich gewusst hätte, was mir von einem gewissen Borcelencs noch widerfahren sollte. Aber in diesem Augenblick bedeutete er mir gar nichts. Außerdem war ich viel zu aufgeregt, endlich mehr über den Inhalt des Briefes zu erfahren.
»Das tut mir leid«, war alles, was mir dazu einfiel.
»Soll es nicht, denn er war es schließlich, der dann den Streit schlichten konnte. Er hat auch das Gold aufgetrieben, um mein Heer auszustatten. Du siehst, ich bin deinem Onkel nicht gram.«
»In Wahrheit ist er mein Großonkel«, erklärte ich. »Meine Mutter ist seine Nichte.«
»Er ist einer der weisen Köpfe unserer schönen Heimat.« Bertran sah mir direkt in die Augen und lächelte. »Ich wusste nicht, dass du einer so bedeutenden Familie angehörst.«
»Bedeutend? Odo vielleicht, aber nicht wir Montalbans aus Rocafort.« Inzwischen war ich ungeduldig geworden. »Darf ich wissen, was er schreibt? Nur das, was mich betrifft, natürlich.«
»Vergib mir, ich rede mal wieder zu viel.«
Bertran überflog den Inhalt des Schriftstücks. »Er schreibt von den allgemeinen Zuständen im Land, sagt aber nicht viel über Elvira und ihr Balg.« Immer, wenn er von seinem Halbbruder Alfons Jordan sprach, verzog sich sein Gesicht, und er machte eine abschätzige Bemerkung. Der Stachel saß wirklich tief. »Ah … hier ist die Stelle.« Er hielt mir die Seite zum Lesen hin. Auf meine verneinende Gebärde hin blickte er mich einen Moment verdutzt an, dann meinte er entschuldigend: »Oh. Ich vergaß. Die Kunst des Lesens ist leider nur wenig verbreitet. Nicht sehr männlich oder kriegerisch, was?« Er lachte verlegen. »Der Gänsekiel ist kein Schwert, Jaufré, aber auch damit lässt sich manche Schlacht gewinnen.«
»So wie durch Euren Vertrag mit den Genuesen?«
»Ganz recht.« Meine Antwort gefiel ihm. »Und sie haben Wort gehalten. Mit ihren Kriegsschiffen haben sie mir ohne viel Blutvergießen Tripolis geschenkt. Und was hat es gekostet?« Die Antwort lieferte er gleich mit. »Nichts. Nichts
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