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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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Erklärung, Herr.«
    »Ich weiß, du wirst die anderen Halunken aburteilen, die dabei waren.« Mit der blanken Waffe seinen Hauptmann anzugreifen, darauf wurde im Allgemeinen eine schwere Strafe verhängt, je nach den Umständen sogar die Todesstrafe. »Ich wünsche ausdrücklich, dass du sie hart bestrafst, Jaufré. Sonst meint hier jeder, er könne meinen Hauptleuten auf der Nase herumtanzen.«
    »Ich hatte nicht vor, sie ungestraft davonkommen zu lassen.«
    »Ganz recht. Nur, dabei habe ich eine Bitte.« Er sah mir offen in die Augen. »Ich bitte dich, die Sache aus den Annalen der Festung herauszulassen. Keine offizielle Verhandlung.«
    Ich nickte in Zustimmung.
    »Da Ricard der eigentliche Übeltäter war, müsste ich ihn sonst ebenfalls aburteilen. Und ich möchte dies seiner Mutter ersparen und irgendwie anders regeln.« Ricard sollte also Gelegenheit zur Wiedergutmachung erhalten. »Außerdem …« Er zögerte, sah mich aber immer noch unverwandt an. »Wie ich hörte, hast du ihn zuvor mit einer Beleidigung gereizt.«
    »Das ist wahr.«
    »Sicher aus gutem Grund. Nur, bei einer Verhandlung würde dies zur Sprache kommen. Ich glaube, das wäre nicht in deinem Sinne.«
    »Ich verstehe.« Daher wehte also der Wind.
    »Das ist gut, Jaufré. Ich wusste, dass du das verstehst. Ich habe ihn in jedem Fall erst mal einkerkern lassen. Das soll ein paar Tage lang seinen Übermut kühlen. Inzwischen überlege ich mir, was ich mit ihm anfange. Aber genug jetzt von Ricard.«
    Vor allem wurde mir klar, dass Bertran es geschickt verstand, die Dinge so nach seinem Willen zu richten, dass man es ihm nicht einmal übelnehmen konnte. Irgendwie hatte ich den Eindruck, er war sehr zufrieden mit der Angelegenheit, denn er lächelte so fröhlich, als hätte ich ihm einen Gefallen getan.
    »Mein lieber Montalban, da ist noch eine andere Sache.«
    Jetzt kam wohl der wahre Grund für seine Aufforderung, so kurzfristig im Palast zu erscheinen.
    »Ich habe einen Brief aus Narbona erhalten.« Er suchte stirnrunzelnd in den säuberlichen Stapeln auf seinem Tisch und fluchte leise zwischen den Zähnen. »Wenn mein Schreiber Ordnung macht, finde ich nichts mehr.« Dann erhellte sich seine Miene, und er zog ein wichtig aussehendes Pergament aus einem der Stapel. Es trug ein großes, bereits aufgebrochenes Siegel. Bertran entfaltete das Dokument.
    »Von Seiner Exzellenz und Hochwürden, dem Erzbischof von Narbona,
Mossenher
l’Avesque
Odo de Monisat.«
    Mich durchzuckte es mit einem Schlag, und ich setzte mich kerzengerade auf. Meine Augen mussten riesengroß geworden sein.
    »Du bist erstaunt, nicht wahr?« Bertran grinste zufrieden, als er die Wirkung seiner Worte bemerkte. »Und ich hatte keine Ahnung, dass der alte Erzbischof und Widersacher meines Vaters, ja in gewisser Weise in den letzten Jahren auch mein eigener Lieblingsfeind, dein leibhaftiger Onkel ist.«
    Sein Feind? Mir krampfte sich der Magen zusammen. Was, zum Teufel, meinte er? Ricard und seine unselige Mutter waren mit einem Mal völlig in den Hintergrund getreten. Onkel Odo?
    Bei seinem Namen überkamen mich Bilder aus meiner Kindheit und Jugend. Ein weißbärtiger, alter Mann, der in meinen Haaren zauste, der Äpfel und süße Birnen aus seinem Garten für mich mit dem Messer zerkleinerte und mir in den Mund schob. Erinnerungen an schöne Sommer auf seinem Gut. Später, als ich bei ihm Knappe war und das Kriegshandwerk lernte, hatte ich oft tagsüber zu Pferde die ganze Gegend durchstreift. Abends hatte ich dann müde mit den Waffenknechten und Mägden am Brunnen gesessen und ihren Geschichten gelauscht. Onkel Odo. Er lebte also noch und musste nun schon über achtzig Jahre alt sein.
    Bertran bemerkte, dass ich aus der Fassung geraten war.
    »Was ist los? Hat dich die Nachricht erschreckt?«
    »Warum sollte er Euer Feind sein?«, stammelte ich.
    »Ach, mach dir keine Sorgen darüber. Dazu komme ich gleich. Aber zunächst einmal, ein nicht unerheblicher Teil seines Briefes betrifft dich, mein Lieber.«
    »Mich?«, fragte ich etwas einfältig. »Woher weiß er, dass ich hier bin?«
    »Er weiß es nicht. Er vermutet es nur. Oder erhofft es sich.«
    Dieser Brief rief plötzlich alles wieder wach, was ich im Geist seit langem beiseitegeschoben hatte. Mir stieg eine Hitzewelle den Hals hinauf. War es Scham oder mein alter Zorn? Damals waren Dinge geschehen, an die ich mich nur ungern erinnern wollte. Die Ansprüche einer Familie können herrisch und grausam sein. Ich war ihnen

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