Der Bastard von Tolosa / Roman
hatte. Es sei endlich an der Zeit, das Schwert nicht länger gegeneinander in sinnlosem Bruderzwist, sondern gegen die Heiden zu erheben und unseren bedrängten, christlichen Brüdern im Osten zu Hilfe zu eilen, die Pilger zu schützen und das Grab unseres geliebten Heilands zu befreien. Wer sich aufmache, dem seien Gottes Vergebung und das ewige Himmelreich gewiss.
Aber Odo hatte die Begeisterung im Land für den päpstlichen Aufruf nicht geteilt. Wir würden uns alle umbringen lassen, hatte er gebrüllt und versucht, mir die Sache auszureden. Wir hätten unbekannte Länder, Gebirge und Wüsten zu durchqueren. Wilde Völker würden es nicht leiden, dass wir durch ihr Land zögen und ihnen das bisschen Nahrung raubten, das sie besaßen. In der Fremde würden wir keine Unterstützung finden, sondern aus Unkenntnis des Landes in Hinterhalte geraten, aus Mangel an Nachschub verhungern oder geschwächt an Seuchen sterben. Es handle sich schließlich nicht um eine Fehde mit dem Nachbarn um ein paar Kühe, hatte er entnervt geschrien. Ein Feldzug in diesem Umfang sei kein Spiel für eitle Toren. Und was denn überhaupt aus meiner Familie werden solle? Einen verfluchten Narren hatte er mich gescholten und sich angewidert von mir abgewandt, als ich trotz allem starrsinnig darauf beharrte, mich dem Heer des Grafen anzuschließen. Wie tausend andere war ich von feurigem Eifer erfüllt gewesen. Wir wollten die Sarazenen besiegen, die Welt erobern und den Himmel erstürmen. Nichts sollte uns daran hindern, vor allem nicht die Unkenrufe eines alten Mannes.
In reiferen Jahren seufzt man über die Torheiten seiner Jugend und wie leicht man sich von gewissenlosen Männern hat verleiten lassen. Denn leider hatte Odo mit allem recht behalten. Nur dass die Wirklichkeit noch weit schrecklicher gewesen war als seine Prophezeiung.
Natürlich hatte auch meine Mutter Cecilia versucht, mich von diesem Vorhaben abzubringen. Doch wenn ich meinem Onkel aus Achtung noch zuhörte, so ließ ich die Worte meiner Mutter ohne Antwort einfach an mir abprallen. Das war ungebührlich für einen Sohn. Aber nach meinem Verständnis hatte sie mir, und noch mehr meiner Liebsten, Amelha, großes Unrecht zugefügt. Dafür konnte ich ihr nicht verzeihen. Sie hatte das Recht verwirkt, sich jemals wieder in meine Entscheidungen einzumischen.
Das Gefühl, allein zurückzubleiben, war Cecilia gewiss nicht neu gewesen. Oft genug war mein Vater Ramon in den Krieg gezogen, und eines Tages, ich war erst fünf oder sechs, war er nicht mehr heimgekehrt. Nie haben wir erfahren, wo sein Grab liegt. Was wäre aus so manchem Adelssitz ohne die Frauen geworden, die ihn verwalteten und verteidigten. So lange ich denken konnte, hatte meine Mutter allein und mit fester Hand Burg und Landwirtschaft geführt. Von Tierzucht und Ackerbau verstand sie mehr als jeder andere. Nur ihre Männer hatten ihr wenig Glück gebracht, weder Ehemann noch Sohn hatte sie bei sich behalten können. Der eine in unbekannter Erde verscharrt, der andere, wie sie denken musste, in Feindesland verschollen.
Der Morgen meines Abschieds damals hatte verhangen und düster herangedämmert. Meine kleine Schar hatte sich vor dem Burgtor versammelt, ein Dutzend junger Männer aus dem Dorf, von mir bestimmt, mich auf der Reise zu begleiten. Ein paar Maultiere und ein zweites Schlachtross vervollständigten mein kleines Gefolge. Mit den letzten Mitteln hatte ich sie ausgerüstet. Frisch bemalter Schild, Familienwimpel feucht und lustlos von der Lanze hängend, an meiner Seite das Schwert des Vaters. Das ganze Dorf hatte still den Vorbereitungen zugeschaut, Mütter und Schwestern in Tränen aufgelöst. Palästina, mein Gott, das war so unendlich weit. Nur wenige erwarteten, uns jemals wieder zu sehen.
Und sie hatten recht gehabt, denn all diese unglücklichen Gefährten waren im Verlauf der Jahre nacheinander auf die eine oder andere Art umgekommen oder verschollen. Die meisten vor Antiochia.
Ich konnte mich kaum noch an ihre Namen entsinnen. Oder doch? Enric, ein kräftiger Bursche, hatte ich auf dem Schlachtfeld vor Nicaea mit eingeschlagenem Schädel gefunden. Da war Brun, der zu Anfang mein Schildträger gewesen war, bis eine türkische Lanze sein Leben beendete. Ein anderer war einer Prügelei zum Opfer gefallen. Und natürlich Bennot, mein Leibdiener. Er kochte einen schrecklichen Fraß. Nicht, dass wir viel zu beißen gehabt hätten. Er war elendig an Fieber und blutigem Durchfall verendet, an dem
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