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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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schreien und ganz bleich von diesem jähen Überfall, mit einem Satz aus dem Korb sprang. Sie hob den Arm, wie sie es auf den Schlachthöfen gesehen hatte, ballte ihre Faust, die Faust einer schönen Frau, und schlug Marjolin mit einem einzigen Schlag zwischen die Augen zu Boden. Er brach zusammen, und sein Kopf spaltete sich an der Kante einer steinernen Schlachtbank. In diesem Augenblick stieg ein heiserer, langgezogener Hahnenschrei aus der Finsternis auf.
    Die schöne Lisa blieb völlig kalt. Ihre Lippen waren zusammengekniffen. Ihr Busen hatte wieder seine stummen Rundungen angenommen, die ihn einem Bauch gleichen ließen. Über ihrem Kopf hörte sie das dumpfe Dröhnen der Markthallen. Durch die Kellerluken in der Rue Rambuteau fielen in das große gedämpfte Schweigen des Kellers die Geräusche der Straße. Und sie dachte, daß allein diese üppigen Arme sie gerettet hatten. Dann schüttelte sie die wenigen Federn ab, die an ihren Röcken klebten. Da sie fürchtete, überrascht zu werden, ging sie dann davon, ohne Marjolin anzusehen. Als sie durch die Gittertür gegangen war, stellte die Helligkeit des Tageslichts auf der Treppe eine große Erleichterung für sie dar.
    Sehr ruhig und ein wenig bleich, kehrte sie in die Fleischerei zurück.
    »Du bist recht lange geblieben«, begrüßte sie Quenu.
    »Ich habe Gavard nicht gefunden, überall habe ich ihn gesucht«, antwortete sie gelassen. »Wir werden unsere Hammelkeule ohne ihn essen.«
    Sie ließ den Schmalztopf füllen, den sie leer fand, und schnitt Koteletts für ihre Freundin Frau Taboureau ab, die das kleine Dienstmädchen geschickt hatte. Die Schläge mit dem Hackmesser, die sie dem Hauklotz versetzte, erinnerten sie an Marjolin unten im Keller. Aber sie machte sich keine Vorwürfe. Sie hatte als ehrbare Frau gehandelt. Wegen dieses Straßenjungen würde sie doch nicht ihren Frieden gefährden; dazu fühlte sie sich viel zu wohl zwischen ihrem Mann und ihrer Tochter. Immerhin sah sie sich Quenu an: er hatte einen Nacken mit rauher Haut, eine rötliche Speckschwarte, und sein rasiertes Kinn war runzlig wie knorriges Holz, während Nacken und Kinn des anderen von rosigem Samt zu sein schienen. Sie durfte nicht mehr daran denken und ihn nicht mehr anfassen, wenn er auf solche unmöglichen Dinge kam. Es war ein kleines, erlaubtes Vergnügen, das sie bedauerte, indem sie sich sagte, daß die Kinder wirklich zu schnell heranwachsen.
    Da leichte Flammen wieder in ihre Wangen stiegen, fand Quenu sie »verteufelt hübsch«. Er setzte sich einen Augenblick neben sie hinter den Ladentich und meinte mehrmals:
    »Du solltest häufiger an die Luft gehen, das tut dir gut … Wenn du willst, könnten wir auch einen Abend ins Theater gehen, ins Théâtre de la Gaîté41, wo Madame Taboureau dieses Stück gesehen hat, das so gut war …«
    Lisa lächelte und antwortete, man werde ja sehen. Dann verschwand sie noch einmal. Quenu dachte, daß sie zu gut sei, so diesem groben Kerl, dem Gavard, nachzulaufen. Er hatte sie nicht zur Treppe gehen sehen. Sie war soeben in Florents Stube hinaufgestiegen, deren Schlüssel immer in der Küche an einem Nagel hing. Sie hoffte, hier irgend etwas herauszubekommen, denn mit dem Geflügelhändler rechnete sie nicht mehr. Langsam ging sie darin umher, untersuchte das Bett, den Kamin, die vier Ecken. Das Fenster zu dem kleinen Altan stand offen; der Knospen tragende Granatapfelbaum badete im Goldstaub der untergehenden Sonne. Es schien ihr, als habe ihr Ladenmädchen diesen Raum nicht aufgegeben, als habe es noch in der vergangenen Nacht hier geschlafen; sie spürte hier nichts von Mann. Sie war erstaunt, denn sie war darauf gefaßt gewesen, verdächtige Kisten und Möbel mit großen Schlössern zu finden. Sie betastete Augustines Sommerkleid, das immer noch an der unverputzten Wand hing. Dann setzte sie sich schließlich an den Tisch und las eine angefangene Seite, auf der zweimal das Wort »Revolution« vorkam. Sie war erschrocken darüber, öffnete die Schublade und sah, daß sie ganz mit Papieren angefüllt war. Aber ihre Ehrbarkeit erwachte angesichts dieses Geheimnisses, das der schäbige Tisch aus weißem Holz so schlecht hütete. Sie verharrte einen Augenblick, über die Papiere gebeugt, und versuchte sehr aufgeregt, sie zu verstehen, ohne sie zu berühren, als das Schmettern des Finken, dessen Käfig ein schräger Sonnenstrahl traf, sie aufschrecken ließ. Sie stieß die Schublade zurück. Es war sehr schlecht, was sie da eben tun

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