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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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großen Fäuste!«
    Sie betrat den Vorratsraum. Gavard hatte zwei Abteile gemietet und durch Entfernung der Zwischenwand einen einzigen Geflügelstall daraus gemacht. Am Erdboden patschten die größeren Tiere, die Gänse, Puten und Enten, im Mist herum; auf den drei Regalen der Etageren enthielten flache Kästen mit vergitterten Öffnungen Hühner und Kaninchen. Das Gitter des Vorratsraums war ganz staubig und so mit Spinnweben überzogen, daß er mit grauen Vorhängen ausgestattet zu sein schien. Der Urin der Kaninchen zerfraß die Bodenplatten. Der Geflügelmist befleckte die Bretter mit weißlichen Kotspritzern. Aber Lisa wollte Marjolin nicht verletzen, indem sie ihren Ekel noch mehr zeigte. Sie steckte die Finger zwischen die Stäbe der Kästen und jammerte über das Sckicksal der armen zusammengepferchten Hühner, die sich nicht einmal auf den Füßen halten konnten. Sie streichelte eine Ente, die mit gebrochenem Fuß in einer Ecke hockte, während der junge Mann erklärte, man werde sie noch an diesem Abend schlachten, da zu befürchten sei, daß sie in der Nacht verende.
    »Aber wie werden denn die Tiere gefüttert?« fragte sie.
    Er erklärte, daß das Geflügel im Dunkeln nicht fressen will. Die Händler seien gezwungen, eine Kerze anzuzünden und da zu warten, bis die Tiere fertig seien.
    »Mir macht das Spaß«, fuhr er fort. »Ich leuchte ihnen stundenlang. Man muß es sehen, wie sie mit ihren Schnäbeln drauflospicken. Wenn ich die Kerze mit der Hand verdecke, dann verharren sie alle mit dem Hals in der Luft, als ob die Sonne untergegangen ist … Es ist aber streng verboten, die Kerze bei ihnen brennen zu lassen und davonzugehen. Eine Händlerin, die Sie kennen, Mutter Palette, hat neulich beinahe alles abgebrannt; ein Huhn muß das Licht ins Stroh umgestoßen haben.«
    »Anspruchslos ist das Geflügel nun gerade nicht, wenn man ihm zu jeder Mahlzeit auch noch Kronleuchter anzünden muß«, meinte Lisa.
    Darüber mußte er lachen. Sie war aus dem Vorratsraum herausgekommen, trat sich die Füße ab und raffte ein wenig ihr Kleid, um es vor dem Dreck zu schützen. Marjolin pustete die Kerze aus und schloß die Tür. Sie bekam Angst, neben diesem großen Jungen in die Nacht zurückzukehren. Sie ging voran, um ihn nicht von neuem in ihren Röcken zu spüren. Als er sie eingeholt hatte, sagte sie:
    »Ich freue mich trotzdem, das gesehen zu haben. Es gibt unter diesen Markthallen Dinge, die man niemals vermuten würde. Ich danke dir … Jetzt will ich aber schnell wieder nach oben gehen; im Laden werden sie wohl nicht mehr wissen, wo ich hingegangen bin. Wenn Herr Gavard zurückkommt, richte ihm aus, daß ich sofort mit ihm sprechen muß.«
    »Aber«, meinte Marjolin, »er ist zweifellos bei den Schlachtbänken … Wir können nachsehen, wenn Sie wollen.«
    Sie gab keine Antwort, beklommen von dieser schwülen Luft, die ihr das Gesicht erhitzte. Sie war ganz rot, und ihr pralles Mieder, das gewöhnlich wie erstorben war, erbebte. Es beunruhigte sie und war ihr unbehaglich, hinter sich den hastigen Schritt Marjolins zu hören, der ihr zu keuchen schien. Sie trat zur Seite und ließ ihn vorausgehen. Das Dorf und die schwarzen Straßen schliefen immer noch. Lisa bemerkte, daß ihr Begleiter den längsten Weg einschlug. Als sie bei den Eisenbahnschienen herauskamen, sagte er, daß er ihr die Eisenbahn habe zeigen wollen; und dort verweilten sie einen Augenblick und spähten durch die starken Bohlen des Bretterverschlages. Er machte sich erbötig, sie das Gleis besichtigen zu lassen. Sie lehnte ab, indem sie meinte, es lohne sich nicht, sie sehe so, wie es beschaffen sei. Auf dem Rückweg fanden sie Mutter Palette vor ihrem Vorratsraum, die die Verschnürung eines großen viereckigen Korbes löste, aus dem ein wütendes Scharren und Flügelschlagen zu hören war. Als sie den letzten Knoten aufgemacht hatte, kamen plötzlich große Gänsehälse zum Vorschein, die hochschnellten und den Deckel abhoben. Die Gänse entwischten erschreckt, den Kopf vorgestreckt, mit Zischen und Schnattern, das den dunklen Keller mit Höllenlärm erfüllte. Lisa konnte sich des Lachens nicht erwehren trotz des Jammerns der verzweifelten Geflügelhändlerin, die wie ein Rollkutscher fluchte und die zwei Gänse, die sie glücklich gefangen hatte, am Hals zurückschleppte. Marjolin hatte sich an die Verfolgung der dritten gemacht. Er war ihr auf der Spur, und man hörte ihn durch die Gänge laufen und seinen Spaß an dieser Jagd haben.

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