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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Blumensträuße in Papiermanschetten, fortlaufende Schnüre von nur undeutlich zu sehenden angezogenen Schenkeln und gewölbten Brüsten. Tief in all dieser Nahrung hatten sein großer blonder Leib, seine Backen, seine Hände, sein mächtiger Hals und das rötliche Haar das feine Fleisch prachtvoller Puten und die Rundung von Fettgänsebäuchen.
    Als er die schöne Lisa bemerkte, stand er jäh auf und wurde rot, daß sie ihn derartig hingesielt überrascht hatte. Er war in ihrer Gegenwart immer sehr schüchtern und sehr verlegen. Und als sie ihn fragte, ob Herr Gavard da sei, stammelte er:
    »Nein, ich weiß nicht; er war eben noch da, ist aber wieder fortgegangen.«
    Sie sah ihn an und lächelte, denn sie war dem Jungen sehr zugetan. Als sie eine Hand herabhängen ließ, spürte sie, wie etwas Warmes sie streifte, und stieß einen leisen Schrei aus. Aus einer Kiste unter dem Auslagentisch machten lebende Kaninchen lange Hälse und beschnupperten ihre Röcke.
    »Ah!« rief sie lachend. »Es sind deine Kaninchen, die mich da kitzeln.« Sie beugte sich herunter und wollte ein weißes Kaninchen streicheln, das jedoch in eine Ecke der Kiste flüchtete. Sich wieder aufrichtend, fragte sie dann: »Und wird Herr Gavard bald zurückkommen?«
    Marjolin antwortete von neuem, daß er es nicht wisse. Seine Hände zitterten ein wenig. Mit stockender Stimme fuhr er fort:
    »Vielleicht ist er im Vorratsraum … Er hat mir, glaube ich, gesagt, daß er hinuntergehen wollte.«
    »Dann möchte ich auf ihn warten«, entgegnete Lisa. »Man könnte ihn ja wissen lassen, daß ich hier bin … falls ich nicht selber hinuntergehe. Ja, das ist ein Gedanke. Schon seit fünf Jahren habe ich mir vorgenommen, mir die Vorratsräume anzusehen … Du wirst mich führen, nicht wahr, und mir alles erklären.«
    Er war sehr rot geworden. Er stürzte aus dem Laden, ging vor ihr her, ließ die Auslage im Stich und wiederholte mehrmals:
    »Gewiß … Alles, was Sie wollen, Madame Lisa.«
    Unten aber benahm die schwarze Kellerluft der schönen Fleischersfrau den Atem. Sie blieb auf der letzten Stufe stehen, blickte hoch und betrachtete das Gewölbe mit der Einfassung aus roten und weißen Ziegeln, das aus flachen Bogen bestand, in gußeisernen Rippen festsaß und von kleinen Pfeilern gestützt wurde. Noch mehr als die Dunkelheit hinderte sie ein heißer, durchdringender Geruch am Weitergehen, die Ausdünstungen lebender Tiere, deren Ammoniakdünste ihr Nase und Kehle beizten.
    »Das riecht hier sehr schlecht«, murmelte sie. »Es wäre ungesund, hier zu leben.«
    »Ich, ich fühle mich hier sehr wohl«, erwiderte Marjolin verwundert. »Der Geruch ist nicht schlecht, wenn man daran gewöhnt ist. Außerdem ist es warm im Winter; man hat es hier sehr behaglich.«
    Sie folgte ihm und meinte, dieser heftige Geflügeldunst sei ihr widerlich und sie werde gewiß zwei Monate lang kein Hähnchen essen. Indessen erstreckten die Vorratsräume, die engen Kojen, in denen die Händler die lebenden Tiere aufbewahrten, ihre regelmäßigen Gassen, die sich rechtwinklig schnitten. Gaslampen waren selten, die Gassen schliefen, schwiegen, glichen einem Dorfwinkel, wenn die Provinz zu Bett gegangen ist. Marjolin ließ Lisa das engmaschige, auf Eisenrahmen gespannte Drahtnetz berühren; und während sie eine Straße entlanggingen, las sie die auf blauen Schildchen geschriebenen Namen der Mieter.
    »Herr Gavard ist ganz hinten«, sagte der junge Mann, der immer weiterging.
    Sie bogen links ab und gelangten in eine Sackgasse, in ein dunkles Loch, in das kein Lichtstreifen hineinglitt. Gavard war nicht da.
    »Das macht nichts«, meinte Marjolin. »Ich werde Ihnen trotzdem unsere Tiere zeigen. Ich habe einen Schlüssel zum Vorratsraum.«
    Die schöne Lisa betrat hinter ihm die dichte Finsternis. Dort fühlte sie ihn mit einemmal in ihren Röcken. Sie nahm an, ihm zu nahe gekommen zu sein, und wich zurück. Lachend sagte sie:
    »Wenn du dir einbildest, daß ich deine Tiere hier sehe in diesem Ofenloch.«
    Er antwortete nicht gleich; dann stammelte er, daß im Vorratsraum stets eine Kerze liege. Aber er wurde nicht mehr fertig, er konnte das Schlüsselloch nicht finden. Als sie ihm half, spürte sie seinen heißen Atem an ihrem Hals. Nachdem er endlich die Tür geöffnet und die Kerze angezündet hatte, sah sie ihn dermaßen zittern, daß sie ausrief:
    »Großer Dummkopf, wie kann man sich nur so aufregen, bloß weil eine Tür nicht aufgehen will! Du bist ja ein Mädchen trotz deiner

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