Der Bauch von Paris - 3
herunterkam, um dem Sou zu folgen. Entschieden stand der kleine Murx bei ihr in Ansehen.
»Was möchtest du denn gerne haben?« fragte er.
Sie antwortete nicht sofort, sie wußte nicht, sie mochte zu viele Dinge gern haben.
Er zählte eine Menge Leckereien auf: Lakritze, Sirup, Gummibonbons und Puderzucker. Der Puderzucker stimmte die Kleine sehr nachdenklich: man tunkt den Finger hinein und lutscht daran; das ist herrlich. Sie sann ernsthaft nach und entschied sich dann:
»Nein, Zuckerhörnchen mag ich am liebsten.«
Da nahm er sie am Arm und führte sie fort, ohne daß sie sich wehrte. Sie überquerten die Rue Rambuteau und folgten dem breiten Bürgersteig vor den Markthallen bis zu einem Kolonialwarenhändler in der Rue de la Cossonnerie, der für seine Zuckerhörnchen berühmt war. Das sind kleine Papierhörnchen, in welche die Kolonialwarenhändler die Abfälle ihrer Auslagen hineintun, zerbrochene Zuckerplätzchen, überzuckerte Kastanien, den fragwürdigen Bodensatz von Bonbongläsern. Murx erledigte alles wie ein Kavalier. Er ließ Pauline das Hörnchen aussuchen, ein Hörnchen aus blauem Papier, nahm es ihr nicht wieder fort und gab seinen Sou hin. Auf dem Bürgersteig schüttete sie die Krümel aller Art in ihre beiden Schürzentaschen; und diese Taschen waren so eng, daß sie voll wurden. Langsam knabberte sie Krümel um Krümel, war selig und machte den Finger naß, um auch den feinsten Staub zu bekommen, so sehr, daß die Bonbons dabei zerschmolzen und bereits zwei braune Flecken die beiden Schürzentaschen kenntlich machten. Murx lachte hämisch. Er faßte sie um den Leib, zerknüllte sie nach Herzenslust und führte sie um die Ecke der Rue Pierre Lescot in die Richtung zum Place des Innocents, wobei er sagte:
»Na? Jetzt willst du wohl spielen? – Das ist gut, was du in deinen Taschen hast. Du siehst also, daß ich dir nichts zuleide tun wollte, großes Dummerchen.« Und er selber steckte die Finger tief in die Taschen.
Sie kamen auf den Platz. Hierher wünschte der kleine Murx sehnlich seine Eroberung zu bringen. Er führte sie auf dem Platz herum, als sei das sein sehr liebliches Reich, in dem er sich ganze Nachmittage herumtrieb. Pauline war noch nie so weit weggegangen; sie würde geschluchzt haben wie ein entführtes Fräulein, wenn sie nicht die Zuckersachen in den Taschen gehabt hätte. In der Mitte des von Korbbeeten durchschnittenen Rasens rannen die zerfetzten Wassertücher des Brunnens, und die Nymphen von Jean Goujon49, die ganz weiß waren im Grau des Steins, neigten ihre Krüge herab und stellten ihre nackte Anmut in die schwarze Luft des Quartier SaintDenis. Die Kinder gingen um den Springbrunnen herum, sahen zu, wie das Wasser aus den sechs Becken fiel, wurden angezogen von dem Gras und träumten sicherlich davon, über den Rasen in der Mitte zu laufen oder unter die dichten Büsche der Stechpalmen und Rhododendron auf den Rabatten längs des Gitters des Platzes zu schlüpfen.
Der kleine Murx, dem es nun schon gelungen war, das schöne Kleid hinten ganz zu zerknittern, meinte indessen mit seinem heimtückischen Lachen:
»Willst du, daß wir uns mit Sand schmeißen spielen?«
Pauline ließ sich verlocken. Sie schmissen sich mit Sand und schlossen dabei die Augen. Der Sand drang in das ausgeschnittene Mieder der Kleinen und rieselte an ihr herunter bis in die Strümpfe und Stiefelchen. Murx machte es mächtigen Spaß, die weiße Schürze ganz gelb werden zu sehen. Aber er fand zweifellos, daß das noch zu sauber sei.
»Wie ist es, wenn wir Bäume pflanzten?« fragte er mit einemmal. »Ich weiß hübsche Gärten anzulegen!«
»Wirklich, Gärten!« murmelte Pauline voller Bewunderung. Da der Parkwächter nicht da war, ließ Murx sie nun in einer Rabatte Löcher graben. Sie kniete mitten auf der weichen Erde, legte sich lang auf den Bauch und versenkte ihre reizenden nackten Arme bis zu den Ellbogen. Er holte Holzstücke, brach Zweige ab. Das waren die Bäume des Gartens, die er in Paulines Löcher pflanzte. Nur fand er die Löcher niemals tief genug und schalt sie mit der Roheit eines Dienstherrn einen schlechten Arbeiter. Als sie wieder aufstand, war sie vom Kopf bis zu den Füßen schwarz; sie hatte Erde im Haar, war völlig beschmiert und sah mit ihren Kohlenträgerarmen so komisch aus, daß Murx in die Hände klatschte und ausrief:
»Jetzt wollen wir sie begießen … Verstehst du, sonst wächst das nicht.«
Das war der Höhepunkt. Sie verließen die Anlage, schöpften in
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