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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Mansarden. Sie musterte die Vorhänge, zimmerte ein Drama aus dem bloßen Erscheinen eines Kopfes zwischen zwei Sommerläden zusammen, wußte schließlich nur aus der Beobachtung der Fassaden die ganze Geschichte der Mieter aller dieser Häuser. Besonders interessierte sie das Restaurant Baratte mit seiner Weinstube, seiner ausgezackten und vergoldeten Markise, die wie eine Terrasse aussah und das Grün von ein paar Blumentöpfen hervorquellen ließ, und seinen vier engen, verzierten und grellbepinselten Stockwerken; sie erfreute sich an dem blaßblauen Hintergrund mit den gelben Säulen, an der von einer Muschel gekrönten Stele, an dieser ganzen Vorderansicht eines Papptempels, der einem altersschwachen Haus aufs Gesicht getüncht und oben am Dachrand durch eine Galerie aus verblichenem Zink abgeschlossen war. Hinter den rotgestreiften biegsamen Sommerläden erriet sie die guten Mittagessen, die feinen Abendmahlzeiten, die Schwelgereien, bei denen alles in die Brüche ging. Und sie log sogar, hierher kämen Florent und Gavard, um mit diesen beiden Schlampen, den Méhudins, flott zu leben, und beim Nachtisch geschähen abscheuliche Dinge.
    Pauline weinte indessen noch mehr, seit die alte Jungfer sie an der Hand hielt. Diese wandte sich dem Tor der Anlagen zu, als sie sich eines Besseren zu besinnen schien. Sie setzte sich auf das Ende einer Bank und versuchte die Kleine zum Schweigen zu bringen.
    »Sieh mal, weine nicht mehr! Die Schutzleute nehmen dich sonst mit … Ich will dich ja nach Hause bringen. Du kennst mich doch, nicht wahr? Ich bin eine gute Freundin … Nun lach mich mal hübsch an.«
    Aber die Tränen würgten die Kleine; sie wollte davonlaufen. Da ließ Fräulein Saget sie seelenruhig schluchzen und wartete ab, bis sie von allein aufhören würde. Das arme Kind zitterte vor Kälte in Seinen nassen Röcken und Strümpfen; die Tränen, die es mit seinen schmutzigen Fäustchen abwischte, beschmierten es bis an die Ohren mit Erde.
    Als es sich ein wenig beruhigt hatte, begann die Alte in zuckersüßem Ton:
    »Deine Mama ist doch nicht böse, nicht wahr? Sie hat dich lieb!«
    »Ja, ja«, antwortete Pauline, immer noch sehr betrübt.
    »Und dein Papa ist auch nicht böse, er haut dich nicht und zankt sich nicht mit deiner Mama? – Was sagen sie denn am Abend, wenn sie schlafen gehen?«
    »Ach, ich weiß nicht. In meinem Bett ist es schön warm.«
    »Sprechen sie über deinen Onkel Florent?«
    »Ich weiß nicht.«
    Fräulein Saget setzte eine strenge Miene auf und tat, als wolle sie aufstehen und fortgehen.
    »Sieh mal, du bist bloß eine Schwindlerin … Du weißt, daß man nicht schwindeln darf … Ich werde dich hier lassen, wenn du schwindelst, und Murx wird dich kneifen.«
    Murx, der vor der Bank herumstrich, mischte sich ein und sagte mit seinem entschiedenen Ton eines kleinen Mannes:
    »Lassen Sie sie doch, sie ist eine zu dumme Pute, um etwas zu wissen … Ich, ich weiß, daß mein guter Freund Florent gestern saublöd aussah, als Mama lachend so zu ihm sagte, daß er sie küssen kann, wenn es ihm Spaß macht.«
    Aber Pauline hatte angesichts der Drohung, allein gelassen zu werden, von neuem zu weinen begonnen.
    »Still doch, still doch, Zankliese!« brummte die Alte und versetzte ihr einen Knuff. »Ich geh ja nicht weg. Ich werd dir Gerstenzucker kaufen, he, Gerstenzucker! – Also, du liebst ihn nicht, deinen Onkel Florent?«
    »Nein, Mama sagt, daß er nicht ehrbar ist.«
    »Ah! Siehst du wohl, deine Mama hat also doch was gesagt!«
    »Eines Abends in meinem Bett, ich hatte Mouton bei mir; ich schlief mit Mouton … Da sagte sie zu Papa: ›Dein Bruder, der ist bloß aus dem Zuchthaus geflohen, um uns alle dahin mitzunehmen.‹«
    Fräulein Saget stieß einen leisen Schrei aus. Sie war aufgesprungen und zitterte am ganzen Körper. Ihr war ein Licht aufgegangen. Sie nahm Pauline wieder bei der Hand und ließ sie bis zur Fleischerei trippeln, ohne ein weiteres Wort zu sagen, die Lippen mit einem inneren Lächeln zusammengekniffen, die Blicke geschärft vor greller Freude. An der Ecke der Rue Pirouette war Murx, der sie hopsend begleitete und sich daran weidete, die Kleine in ihren dreckbespritzten Strümpfen laufen zu sehen, wohlweislich verschwunden. Lisa schwebte in tödlicher Angst. Als sie ihre wie einen Wischlappen zugerichtete Tochter erblickte, war sie so ergriffen, daß sie sie nach allen Seiten herumdrehte, ohne daran zu denken, sie zu hauen.
    Die Alte sagte mit ihrer boshaften

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