Der Bauch von Paris - 3
unschuldiger, ganz aus dem Leim gegangener Tisch.
Sie blieb stehen und überlegte, was sie jetzt tun solle. Vor allem hielt sie es für überflüssig, Quenu darüber zu verständigen. Sie kam auf den Einfall, eine Aussprache mit Florent herbeizuführen, aber sie mußte befürchten, daß er von ihr fortgehen, von woanders her sein Verbrechen begehen und sie alle aus Bosheit in Gefahr bringen würde. Sie beruhigte sich ein wenig und zog es vor, auf ihn aufzupassen. Bei der ersten Gefahr würde sie sehen. Alles in allem hatte sie jetzt etwas in Händen, um ihn wieder auf die Galeeren zurückzubringen.
Als sie in den Laden zurückkam, fand sie Augustine in heller Aufregung. Seit mehr als einer halben Stunde war die kleine Pauline verschwunden. Auf Lisas besorgte Fragen konnte sie immer nur antworten:
»Ich weiß nicht, Madame … Sie war eben noch hier auf dem Bürgersteig mit einem kleinen Jungen … Ich habe sie beobachtet, dann habe ich Schinken abgeschnitten für einen Herrn und danach habe ich sie nicht mehr gesehen.«
»Ich wette, daß das Murx ist«, rief die Fleischersfrau. »Ach, dieser Lümmel!«
Tatsächlich war es Murx. Pauline, die gerade an diesem Tage ein neues Kleidchen mit blauen Streifen zum erstenmal anhatte, wollte sich damit zeigen. Sie stand kerzengerade und sehr artig vor dem Laden, die Lippen zusammengekniffen zu dem ernsthaften Mäulchen einer kleinen Dame von sechs Jahren, die Angst hat, sich schmutzig zu machen. Ihre sehr kurzen, sehr gestärkten Röckchen bauschten wie Tänzerinnenröcke und ließen ihre schön hochgezogenen weißen Strümpfe und die himmelblauen Lackstiefelchen sehen, während ihre große, am Hals ausgeschnittene Schürze an den Schultern eine schmale gestickte Rüsche hatte, aus der nackt und rosig ihre entzückenden Kinderärmchen hervorsahen. Sie trug Türkisknöpfe in den Ohren, ein goldenes Kreuzchen am Hals, ein blaues Samtband in dem sehr sorgfältig gekämmten Haar, hatte das üppige und zarte Aussehen ihrer Mutter und die pariserische Anmut einer neuen Puppe.
Murx hatte sie von den Hallen aus erblickt. Er setzte gerade kleine tote Fische in den Rinnstein, die das Wasser davontrug und denen er den Bürgersteig entlang folgte, wobei er sagte, sie schwämmen. Aber der Anblick der so schönen und so sauberen Pauline bewog ihn, den Fahrdamm zu überqueren, ohne Mütze, mit zerrissenem Kittel, herunterrutschender Hose, die das Hemd sehen ließ, im verlotterten Aufzug eines siebenjährigen Straßenjungen. Seine Mutter hatte ihm zwar verboten, jemals mit »diesem dummen dicken Balg, das seine Eltern bis zum Platzen vollstopften«, zu spielen. Er strich einen Augenblick um sie herum, trat näher und wollte das hübsche Kleidchen mit den blauen Streifen anfassen.
Pauline, die zuerst geschmeichelt war, setzte ein zimperliches Mäulchen auf, wich zurück und murmelte in ärgerlichem Ton:
»Laß mich … Mama will das nicht.«
Darüber mußte der kleine Murx lachen, der sehr aufgeweckt und unternehmungslustig war.
»Ah!« sagte er. »Du bist schön blöd! – Das macht doch nichts, wenn deine Mama das nicht will … Komm, wir spielen Rumstoßen, willst du?« Er hegte wohl die böse Absicht, Pauline schmutzig zu machen.
Als sie sah, daß er sich anschickte, ihr einen Stoß in den Rücken zu geben, wich sie noch mehr zurück und machte Miene, ins Haus zu gehen.
Da wurde er ganz sanft und zog seine Hosen hoch wie ein Mann von Welt.
»Bist du dumm! Das ist doch bloß Spaß … Du siehst fein aus so. Das kleine Kreuz gehört wohl deiner Mama?«
Sie brüstete sich und sagte, es gehöre ihr.
Er führte sie sacht bis zur Ecke der Rue Pirouette; er faßte ihre Röcke an und wunderte sich, daß das so komisch steif war, was der Kleinen ein grenzenloses Vergnügen bereitete. Seit sie sich auf dem Bürgersteig zur Schau stellte, war sie sehr ärgerlich darüber, daß niemand sie beachtete. Aber trotz der Schönredereien von Murx wollte sie nicht vom Bürgersteig herunterkommen.
»Dumme Gans!« rief er, wieder grob werdend. »Ich werd dich auf deine Scheißkiste setzen, damit du’s weißt, Madame Schönarsch.«
Sie bekam einen Schreck.
Er hatte sie bei der Hand genommen, und, seinen Fehler einsehend, zeigte er sich wieder schmeichlerisch und kramte heftig in seiner Tasche herum.
»Ich habe einen Sou«, sagte er.
Der Anblick des Sous beruhigte Pauline. Er hielt den Sou mit den Fingerspitzen so vor sie hin, daß sie, ohne dessen gewahr zu werden, auf den Fahrdamm
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