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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Fett angesetzt hatte, während die Verteidiger des Rechts im Exil vor Hunger verreckten, warf er sich zum Richter auf, träumte er davon, sich in den Markthallen selbst zu erheben, um diese Herrschaft von Fressereien und Saufereien zu zerschmettern. In einem solch empfindsamen Gemüt vernagelte sich die fixe Idee leicht. Alles nahm ungeheuerliche Ausmaße an; die seltsamsten Vorstellungen zimmerten sich zusammen. Er bildete sich ein, die Markthallen hätten sich seiner bei der Ankunft bemächtigt, um ihn zu verweichlichen, ihn zu vergiften mit ihren Gerüchen. Dann war es Lisa, die ihn verdummen wollte. Zwei, drei Tage ging er ihr aus dem Wege wie einem Zersetzungsmittel, das seinen Willen auflöste, wenn er sich ihm genähert hätte. Diese Krisen knabenhafter Angst, diese Aufwallungen eines empörten Mannes liefen immer auf große Zärtlichkeit hinaus, auf Bedürfnis zu lieben, das er mit kindlicher Scham verbarg. Besonders abends trübte sich Florents Hirn mit bösen Dunstschwaden. Unglücklich von seiner Tagesarbeit, die Nerven angespannt, wehrte er sich aus dumpfer Furcht vor diesem Nichts gegen den Schlaf und verspätete sich noch mehr bei Herrn Lebigre oder den Méhudins; und wenn er nach Hause kam, legte er sich noch nicht hin, er schrieb und bereitete den berühmten Aufstand vor. Langsam ersann er einen ganzen Organisationsplan. Er teilte Paris in zwanzig Sektionen auf, jedes Arrondissement46 eine, und jede hatte einen Anführer, eine Art General, dessen Befehlen zwanzig Leutnants unterstanden, die zwanzig Kompanien Mitverschworener befehligten. Jede Woche würde eine Zusammenkunft der Oberhäupter abgehalten werden, jedesmal in einem anderen Lokal; um größerer Verschwiegenheit willen sollten außerdem die Mitverschworenen nur ihren Leutnant kennen, der allein mit dem Anführer seiner Sektion Besprechungen führen dürfte. Es wäre auch nützlich, daß sich diese Kompanien alle mit vermeintlichen Aufgaben betraut wähnten, was die Polizei vollends von der Spur abbringen würde. Was den Einsatz dieser Streitkräfte anging, so war er überaus einfach. Man würde die vollständige Aufstellung der Stammtruppen abwarten und dann die erste politische Gärung ausnutzen. Da zweifellos nur einige Jagdgewehre zur Verfügung stehen würden, hätte man sich als erstes der Polizeiwachen zu bemächtigen, dann die Feuerwehr, die Gardes de Paris47 und die Linientruppen zu entwaffnen, ohne dabei nach Möglichkeit eine Schlacht zu liefern, indem man sie aufforderte, mit dem Volk gemeinsame Sache zu machen. Darauf müsse man stracks zum Corps législatif marschieren und von dort zum Hôtel de Ville48 gehen. Dieser Plan, auf den Florent jeden Abend wie auf das Szenarium eines Dramas zurückkam, das seine überreizten Nerven erleichterte, war erst auf Zettel geschrieben, die mit ihren Durchstreichungen das Herumtasten des Verfassers verrieten und es erlaubten, allen Phasen dieser zugleich kindlichen und wissenschaftlichen Gedankengänge zu folgen. Als Lisa diese Aufzeichnungen überflogen hatte, ohne sie alle zu verstehen, verharrte sie zitternd und wagte diese Papiere nicht mehr anzufassen aus Furcht, sie zwischen ihren Händen gleich geladenen Schußwaffen losgehen zu sehen.
    Eine letzte Aufzeichnung setzte sie noch mehr in Schrecken als die anderen. Es war ein halber Bogen, auf dem Florent die Abzeichen entworfen hatte, welche die Anführer und die Leutnants kenntlich machen sollten; daneben befanden sich gleichermaßen die Standarten der Kompanien. Die Bleistiftbemerkungen gaben sogar die Farben der Standarten für die zwanzig Sektionen an. Die Abzeichen der Anführer waren rote Schärpen, die der Leutnants gleichfalls rote Armbinden. Das bedeutete für Lisa die unmittelbare Verwirklichung des Aufruhrs; sie sah diese Menschen mit all diesen roten Stoffen an ihrer Fleischerei vorbeiziehen, in die Spiegelscheiben und Marmorplatten hineinschießen, die Bratwürste und Leberwürste aus der Auslage stehlen. Die niederträchtigen Vorhaben ihres Schwagers waren ein Anschlag auf sie selber, auf ihr Glück. Sie schob den Tischkasten wieder zu, blickte sich in der Stube um und sagte sich, daß sie es immerhin sei, die diesen Menschen bei sich wohnen ließ, daß er in ihren Bettüchern schlafe, daß er ihre Möbel benütze. Besonders brachte sie der Gedanke außer sich, daß er die fürchterliche Höllenmaschine in diesem kleinen Tisch aus weißem Holz verbarg, der ihr einst vor ihrer Verheiratung bei Onkel Gradelle gedient hatte, ein

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