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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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fünfjährigen Knaben. Er lachte, stieß mit der Zunge an und konnte die Worte nicht richtig aussprechen, gehorchte aber mit der Sanftmut eines Lammes. Cadine ergriff wieder ganz von ihm Besitz, anfänglich verwundert, später sehr glücklich über dieses prachtvolle Tier, mit dem sie machen konnte, was sie wollte; sie bettete ihn in den Körben mit Federn, nahm ihn zu Streichen mit, bediente sich seiner nach Belieben, behandelte ihn wie einen Hund, eine Puppe, einen Liebhaber. Er gehörte ihr wie eine Leckerei, wie ein schmieriger Winkel in den Markthallen, ein blondes Fleisch, das sie mit dem Raffinement einer durchtriebenen Frau benutzte. Aber obwohl die Kleine alles von ihm erreichte und ihn wie einen unterworfenen Riesen an ihren Fersen mit sich herumschleppte, vermochte sie ihn nicht daran zu hindern, zu Frau Quenu zurückzukehren. Die hatte mit ihren nervigen Fäusten auf ihn eingeschlagen, ohne daß er es auch nur zu spüren schien. Sobald sie sich ihren flachen Korb um den Hals gehängt hatte und ihre Veilchen durch die Rue du Pont Neuf oder die Rue Turbigo spazierentrug, ging er vor der Fleischerei herumstreichen.
    »Komm doch rein!« rief ihm Lisa zu.
    Meistens gab sie ihm Pfeffergurken. Er schwärmte für Pfeffergurken und aß mit seinem unschuldigen Lächeln vor dem Ladentisch. Der Anblick der schönen Fleischersfrau entzückte ihn und ließ ihn vor Freude in die Hände klatschen. Dann hüpfte er und stieß kurze Schreie aus wie ein Straßenjunge, der sich etwas Gutem gegenübersieht. Die ersten Male befürchtete sie, daß er sich erinnern könnte.
    »Tut dir der Kopf immer noch weh?« fragte sie ihn.
    Mit einem Wiegen des ganzen Körpers verneinte er und brach in noch größere Lustigkeit aus.
    Sanft fuhr sie fort:
    »Du bist wohl gefallen?«
    »Ja, gefallen, gefallen, gefallen«, begann er im Ton höchster Befriedigung zu singen, wobei er sich auf den Schädel klatschte. Ernsthaft und in Verzückung sah er sie an und wiederholte auf eine getragene Melodie: »Schön, schön, schön.«
    Lisa war davon tief gerührt. Sie hatte von Gavard verlangt, den Burschen zu behalten. Wenn er ihr seine demütige Liebesweise vorgesungen hatte, streichelte sie ihn unterm Kinn und sagte zu ihm, er sei ein braver Junge. Ihre Hand vergaß sich dort, warm von verschwiegener Freude. Diese Liebkosung war wieder ein erlaubtes Vergnügen geworden, eine Freundschaftsbezeigung, die der Riese in aller Kindlichkeit hinnahm. Er blähte den Hals ein wenig und schloß genießerisch die Augen wie ein Tier, das gestreichelt wird. Um das ehrbare Vergnügen, das sie sich mit ihm herausnahm, vor ihren eigenen Augen zu entschuldigen, sagte sich die schöne Fleischersfrau, daß sie so den Faustschlag wiedergutmache, mit dem sie ihn im Geflügelkeller niedergestreckt hatte.
    Die Fleischerei blieb indessen grämlich. Florent wagte sich manchmal noch hinein, um seinem Bruder unter Lisas eisigem Schweigen die Hand zu drücken. In großen Abständen fand er sich sogar sonntags zum Abendessen ein. Quenu gab sich viel Mühe, Fröhlichkeit hineinzubringen, ohne jedoch die Mahlzeit wärmer gestalten zu können. Er aß schlecht und war schließlich verärgert. Eines Abends sagte er nach einem solchen frostigen Beisammensein der Familie fast weinend zu seiner Frau:
    »Was habe ich denn nur! Bin ich wirklich nicht krank, findest du mich nicht verändert? – Es kommt mir vor, als ob ich irgendwo ein Gewicht mit mir herumschleppe. Und ich bin traurig und weiß nicht warum, mein Ehrenwort … Weißt du denn auch nichts?«
    »Eine schlechte Stimmung zweifellos«, antwortete Lisa.
    »Nein, nein, das dauert zu lange, das erstickt mich … Unser Geschäft geht doch nicht schlecht, ich habe keinen zu großen Kummer, ich gehe meinen gewohnten Trott … Und auch du, meine Liebe, du fühlst dich nicht wohl, du scheinst traurig zu sein … Wenn das so weitergeht, werde ich den Arzt kommen lassen.«
    Die schöne Fleischersfrau sah ihn ernst an.
    »Da brauchen wir keinen Arzt«, sagte sie. »Das geht vorüber … Siehst du, es weht augenblicklich schlechte Luft. Alle Welt ist jetzt krank im Viertel …« Dann gleichsam einer mütterlichen Zärtlichkeit nachgebend: »Mach dir keine Sorgen, mein Dicker … Ich will nicht, daß du krank wirst. Das war der Gipfel.«
    Sie schickte ihn wie gewöhnlich in die Küche, denn sie wußte, daß ihn das Geräusch der Hackmesser, das Singen des Fetts und das Klappern der Kessel aufheiterte. Außerdem vermied sie auf diese Weise,

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