Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
ihn schwören lassen, nie wieder eine solche Unvorsichtigkeit zu begehen. Lisa jedoch verärgerte sie vollends, indem sie sie bat, ihre Heirat zu verschieben, solange der Vetter die Stube oben nicht zurückgegeben habe; sie wolle dem neuen Ladenmädchen nicht die Kammer im ersten Stock geben. Von nun an wünschte Auguste, daß man »den Galeerensträfling einstecken« möge. Die ersehnte Fleischerei hatte er gefunden, nicht in Plaisance, sondern ein wenig weiter, in Montrouge; am Speck war auch wieder zu verdienen. Augustine erklärte, sie sei bereit, und lachte ihr Lachen eines dicken kindischen Mädchens. Deshalb empfand sie jede Nacht beim geringsten Geräusch eine falsche Freude, weil sie glaubte, die Polizei verhafte Florent.
    Bei den QuenuGradelles wurde über diese Dinge überhaupt nicht gesprochen. Eine stillschweigende Übereinkunft des Fleischereipersonals hatte rings um Quenu Schweigen gelegt. Er war ein wenig betrübt über den Zwist seines Bruders und seiner Frau und tröstete sich, indem er seine Würste zuband und seine Speckseiten einsalzte. Manchmal trat er auf die Schwelle des Ladens, um seine eigene rote Speckschwarte zur Schau zu stellen, die aus dem Weiß der über seinen Bauch gespannten Schürze herauslachte, und ahnte nicht, daß sich das Geklatsche verdoppelte, das sein Erscheinen hinten in den Markthallen aufkommen ließ. Man beklagte ihn, man fand ihn weniger fett, obwohl er unförmig war. Andere warfen ihm im Gegenteil vor, nicht genug abzumagern vor Scham, einen solchen Bruder wie den seinen zu haben. Gleich den betrogenen Ehemännern, die als letzte von ihrem Unglück erfahren, war er von einer schönen Unwissenheit, einer rührenden Fröhlichkeit, wenn er irgendeine Nachbarin auf dem Bürgersteig anhielt, um sich nach seinem Leberkäse oder seiner Schweinekopfsülze zu erkundigen. Die Nachbarin setzte dann ein mitleidiges Gesicht auf, schien ihm ihr Beileid auszudrücken, als hätten sämtliche Schweine der Fleischerei die Gelbsucht gehabt.
    »Was haben sie denn alle, daß sie mich mit einer Leichenbittermiene ansehen?« fragte er Lisa eines Tages. »Findest du auch, daß ich schlecht aussehe?«
    Sie beruhigte ihn, sagte ihm, er sei frisch wie eine Rose. Er hatte nämlich eine gräßliche Angst vor Krankheiten, wimmerte und versetzte alles bei sich zu Hause in Aufregung, wenn er unter der geringsten Unpäßlichkeit litt. In Wahrheit aber war der ganze Fleischerladen der QuenuGradelles düster geworden: die Spiegel wurden matt; der Marmor war von vereistem Weiß, das gekochte Fleisch auf dem Ladentisch schlief in gelb gewordenem Fett und in Seen von trübem Gelee. Sogar Claude kam eines Tages herein, um seiner Tante zu sagen, daß ihre Schaufensterauslage »ganz verblödet« aussehe. Das stimmte. Auf ihrer Unterlage von feinem blauem, zurechtgeschnittenem Papier nahmen die nappierten Straßburger Zungen die weißliche Trübseligkeit kranker Zungen an, während die hübschen gelben Gesichter der Geflügelkeulen, die ganz hinfällig waren, von grünen Pompons überragt wurden. Übrigens verlangten die Kunden im Laden keinen Zipfel Blutwurst, für keine zehn Sous Speck, kein halbes Pfund Schweineschmalz mehr, ohne ihre tief betrübte Stimme wie in dem Zimmer eines Sterbenden zu senken. Ständig standen zwei oder drei weinerliche Weiberröcke vor dem geschlossenen Würstchenkessel. Die schöne Lisa trug die Trauer der Fleischerei mit stummer Würde. Noch untadeliger ließ sie ihre weißen Schürzen über ihr schwarzes Kleid fallen. Ihre sauberen, an den Handgelenken von den langen Ärmeln engumschlossenen Hände, ihr Gesicht, das von einer angemessenen Traurigkeit noch verschönt wurde, sagten klar und deutlich dem ganzen Viertel, allen Neugierigen, die vom Morgen bis zum Abend vorbeikamen, daß ihre Familie unverdientes Ungemach erleide, daß sie aber die Ursachen kenne und es fertigbringen würde, darüber zu triumphieren. Und manchmal beugte sie sich herab und versprach mit dem Blick den beiden Goldfischen, die gleichfalls besorgt in dem Aquarium des Schaufensters schwammen, bessere Tage.
    Nur ein Vergnügen gestattete sich die schöne Lisa. Ohne Angst tätschelte sie Marjolin unter dem atlasglatten Kinn. Er war eben aus dem Hospital entlassen worden, war ebenso dick, ebenso vergnügt wie vorher, aber dumm, noch dümmer, völlig blödsinnig. Der Knochensprung mußte wohl bis zum Gehirn gegangen sein. Er war ein Stück Vieh. Er hatte in einem riesigen Leib das kindische Wesen eines

Weitere Kostenlose Bücher