Der Bauch von Paris - 3
daß Fräulein Saget, die jetzt ganze Vormittage in dem Fleischerladen verbrachte, etwas ausplauderte. Die Alte hatte sich die Aufgabe gestellt, Lisa in Schrecken zu versetzen, sie zu einem äußersten Entschluß zu treiben. Zuerst einmal war sie auf Lisas Vertrauen aus.
»Ach, was es für böse Menschen gibt!« sagte sie. »Menschen, die sich besser um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollten … Wenn Sie wüßten, meine liebe Madame Quenu … Nein, ich kann gar nicht wagen, Ihnen das zu wiederholen.«
Wenn ihr dann die Fleischersfrau versicherte, sie könne das nicht berühren, sie sei über böse Zungen erhaben, flüsterte sie ihr über das Fleisch auf dem Ladentisch hinweg ins Ohr: »Also, es heißt, daß Florent gar nicht Ihr Vetter ist …« Und nach und nach zeigte sie, daß sie alles wisse. Das war nur eine Machenschaft, um Lisa in die Hand zu bekommen. Als diese ebenfalls aus Berechnung die Wahrheit eingestand, um eine Person, die sie über das Gerede im Viertel auf dem laufenden hielt, an der Hand zu haben, schwor die alte Jungfer, sie werde stumm wie ein Fisch sein und das noch, den Hals auf dem Richtblock, leugnen. So genoß sie dieses Drama in vollen Zügen. Jeden Tag ließ sie die besorgniserregenden Neuigkeiten anschwellen.
»Sie sollten Ihre Vorsichtsmaßnahmen treffen«, flüsterte sie. »Ich habe auf dem Kaldaunenmarkt noch zwei Frauen gehört, die sich über das unterhielten, was sie wissen. Ich kann doch den Leuten nicht sagen, daß sie gelogen haben, Sie verstehen. Ich würde mich ja lächerlich machen … Das geht um, das geht um. Man hält es nicht mehr auf. Das muß zum Krachen kommen.«
Einige Tage später ging sie schließlich zum Angriff über. Sie kam ganz bestürzt an, wartete mit Gebärden der Ungeduld, bis niemand im Laden war und sagte mit zischender Stimme:
»Wissen Sie, was erzählt wird … Diese Männer, die sich bei Herrn Lebigre versammeln, na schön, die haben alle Gewehre und warten darauf, wieder anzufangen wie im Jahre achtzehnhundertachtundvierzig. Ist das nicht ein Unglück, zu sehen, wie sich Herr Gavard, ein würdiger, reicher, wohlgesetzter Mann, mit Lumpen einläßt! – Ich möchte Sie wegen Ihres Schwagers warnen.«
»Das ist Unsinn, das ist nicht ernst zu nehmen«, meinte Lisa, um sie aufzustacheln.
»Nicht ernst zu nehmen, ich danke schön! Wenn man abends durch die Rue Pirouette gebt, hört man sie abscheuliche Schreie ausstoßen. Sie legen sich keinen Zwang auf, gehen Sie mir. Sie erinnern sich wohl, daß sie versucht haben, Ihren Mann mit hineinzuziehen … Und die Patronen, die ich sie von meinem Fenster aus herstellen sehe, ist das Unsinn? – Schließlich sage ich Ihnen das doch in Ihrem Interesse.«
»Gewiß, und ich bin Ihnen auch sehr dankbar. Nur, es wird soviel erfunden.«
»Oh, nein, das ist leider nicht erfunden … Das ganze Viertel spricht übrigens davon. Es heißt, wenn die Polizei dahinterkommt, werden sehr viele Leute gefährdet. So Herr Gavard …«
Die Fleischersfrau zuckte jedoch die Achseln, wie um zu sagen, Herr Gavard sei ein alter Narr und das geschehe ihm recht.
»Ich rede von Herrn Gavard, wie ich von den andern reden würde, von Ihrem Schwager zum Beispiel«, fuhr die Alte heimtückisch fort. »Wie es scheint, ist der Anführer Ihr Schwager … Das ist sehr ärgerlich für Sie. Sie tun mir außerordentlich leid; denn wenn schließlich die Polizei hierherkommt, könnte sie sehr wohl auch ihren Mann mitnehmen. Zwei Brüder sind wie zwei Finger einer Hand.«
Die schöne Lisa erhob laut Einspruch. Aber sie war ganz bleich. Fräulein Saget hatte soeben den Kernpunkt ihrer Besorgnisse berührt. Von diesem Tage an brachte sie nur noch Geschichten von unschuldigen Menschen, die ins Gefängnis geworfen worden waren, weil sie Bösewichter beherbergt hatten. Wenn sie abends beim Weinhändler ihren Johannisbeerlikör holen ging, stellte sie sich ein kleines Aktenstück für den nächsten Morgen zusammen. Rose war allerdings kaum schwatzhaft. Die Alte verließ sich auf ihre Ohren und ihre Augen. Sie hatte vortrefflich Herrn Lebigres Zuneigung zu Florent bemerkt, seine Sorge, ihn bei sich zu behalten, seine Gefälligkeiten, die sowenig durch die Ausgaben, die der Bursche machte, entgolten wurden. Das überraschte sie um so mehr, als ihr die Stellung der beiden Männer zur schönen Normande nicht unbekannt war.
Man könnte meinen, dachte sie, daß er ihn hochpäppelt … Aber an wen kann er ihn verkaufen wollen?
Als sie eines Abends
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