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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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bezogen, weil er meineidig geworden war und dem Kaiserreich trotz der Schwüre gedient hatte, die er so viele Male in der Verbannung vor sich abgelegt hatte. Der Wunsch, Lisa zufriedenzustellen, die wohltätige Verwendung der empfangenen Gehälter, die ehrbare Art, mit der er sich bemüht hatte, seine dienstlichen Obliegenheiten zu erfüllen, erschienen ihm nicht mehr als Beweisgründe, die stark genug waren, seine Feigheit zu entschuldigen. Wenn er unter dieser fetten und zu wohlgenährten Umgebung litt, so verdiente er dieses Leiden. Und er sah das schlimme Jahr wieder, das er verlebt hatte, die Behelligungen der Fischfrauen, die Übelkeit der feuchten Tage, die fortwährende schlechte Verdauung seines Magens eines Mageren, die dumpfe Feindseligkeit, die er rings um sich anwachsen fühlte. Alles nahm er als eine Züchtigung hin. Aber dieses dumpfe Grollen der Gehässigkeit, deren Ursache er sich nicht erklären konnte, kündigte irgendeine undeutliche Katastrophe an, unter der er im voraus die Schultern in der Schande eines zu büßenden Vergehens beugte. Dann wiederum ereiferte er sich gegen sich selbst beim Gedanken an die Volksbewegung, die er vorbereitete; er sagte sich, er sei nicht mehr rein genug für das Gelingen.
    Wie vielen Träumen hatte er sich hier oben hingegeben, die Blicke verloren auf den ausgebreiteten Dächern der Hallen. Meist sah er in ihnen graue Meere, die ihm von fernen Ländern erzählten. In mondlosen Nächten wurden sie düster, wurden zu toten Seen, zu verpesteten und modrigen schwarzen Gewässern. Die hellen Nächte verwandelten sie in Springbrunnen von Licht; die Strahlen rannen über die beiden Dachgeschosse, benetzten die großen Zinkplatten, quollen über und fielen herab vom Rand dieser übereinandergesetzten riesigen Becken. Die kalte Witterung ließ sie erstarren, einfrieren wie die Fjorde Norwegens, über die die Schlittschuhläufer dahingleiten, während die Junihitze sie mit schweren Schlaf einschläferte. Als er eines Abends im Dezember sein Fenster öffnete, fand er sie ganz weiß von Schnee, von einem jungfräulichen Weiß, das den rostfarbenen Himmel erhellte; sie erstreckten sich, unbefleckt von jeglichem Fuß, gleich den Ebenen des Nordens, gleich von Schlitten verschonten Einöden. Sie hatten ein schönes Schweigen, die Lieblichkeit eines unschuldigen Riesen. Und bei jedem Anblick dieses wechselnden Horizonts überließ er sich zärtlichen oder grausamen Träumereien. Der Schnee beruhigte ihn; das riesige weiße Tuch kam ihm vor wie ein über den Unrat der Markthallen geworfener Schleier von Reinheit.
    Die hellen Nächte, das Rieseln des Mondlichts trugen ihn ins Feenreich der Märchen. Er litt unter den schwarzen Nächten, den glühenden Juninächten, die den Übelkeit erregenden Morast, das schlafende Wasser eines verwunschenen Meeres, ausbreiteten. Und immer wieder überkam ihn das gleiche Alpdrücken.
    Unaufhörlich waren die Hallen da. Er konnte nicht das Fenster öffnen, sich nicht mit dem Ellbogen auf die Brüstung stützen, ohne sie vor sich zu haben, die den Horizont ausfüllten. Am Abend verließ er die Hallen, um beim Schlafengehen ihre endlosen Dächer wiederzufinden. Sie verdeckten ihm Paris, drängten ihm ihre Riesenhaftigkeit auf, traten zu jeder Stunde in sein Leben. In dieser Nacht wurde sein Alpdrücken noch quälender, größer geworden durch die dumpfe Unruhe, die in ihm wühlte. Der Regen am Nachmittag hatte die Markthallen mit einer ungesunden Feuchtigkeit erfüllt. Sie hauchten ihm ihren ganzen schlechten Atem ins Gesicht, der sich inmitten der Stadt gewälzt hatte wie ein Betrunkener unter dem Tisch bei der letzten Flasche. Ihm war, als steige aus jeder Halle ein dichter Dampf auf. In der Ferne dampften der Schlachthof und der Kaldaunenmarkt in einem faden Blutdunst. Außerdem hauchten die Gemüse und Obstmärkte den Geruch von scharfem Kohl, faulen Äpfeln und auf den Kehricht geworfenem Grünzeug aus. Die Buttersorten stanken; und der Fischmarkt hatte eine gepfefferte Frische. Und er sah vor allem zu seinen Füßen, wie die Geflügelhalle durch ihre Ventilatorentürmchen heiße Luft ausstieß, einen Gestank, der sich wie Fabrikruß dahin wälzte. Die Wolke all dieser Ausdünstungen staute sich über den Dächern zusammen, bemächtigte sich der Nachbarhäuser und verbreitete sich als ein schweres Wolkengebilde über ganz Paris. Die Markthallen barsten in ihrem zu engen gußeisernen Gürtel und erhitzten mit den Blähungen ihres verdorbenen

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