Der Bauch von Paris - 3
Magens den Schlaf der überfressenen Stadt.
Unten auf dem Bürgersteig hörte er Stimmenlärm und glücklicher Leute Lachen. Die Gangtür wurde geräuschvoll geschlossen. Quenu und Lisa kamen aus dem Theater nach Hause. Da verließ Florent den Altan, benommen und wie trunken von der Luft, die er atmete, in der nervösen Angst vor diesem Gewitter, das er über seinem Kopf spürte. Da, in diesen vom Tag erhitzten Markthallen, lag sein Unglück. Heftig stieß er das Fenster zu, ließ sie in der Tiefe des Schattens hingesielt liegen, ganz nackt, noch in Schweiß, die Pferdebrust entblößt, ihren aufgeblähten Bauch zeigend und unter den Sternen ihre Notdurft verrichtend.
Kapitel VI
Acht Tage später glaubte Florent, endlich zur Tat schreiten zu können. Ein genügender Anlaß zur Unzufriedenheit bot sich dar, um die aufständischen Scharen nach Paris hineinzuwerfen. Der Corps législatif, den ein Dotationsgesetz schon gespalten hatte, erörterte zur Zeit ein sehr unpopuläres Steuergesetz, das die Vorstädte aufmurren ließ. Das Ministerium, das eine Schlappe befürchtete, kämpfte mit all seiner Macht. Vielleicht würde sich lange Zeit kein besserer Vorwand bieten. Eines Tages streifte Florent bei Morgengrauen um das Palais Bourbon herum. Er vergaß darüber seine Aufseherpflichten, verweilte und prüfte die Örtlichkeiten bis acht Uhr, ohne auch nur daran zu denken, daß seine Abwesenheit die ganze Seefischhalle in Unordnung bringen mußte. Er besichtigte jede Straße, die Rue de Lille, die Rue de l’Université, die Rue de Bourgogne, die Rue SaintDominique; er stieß bis zur Esplanade des Invalides vor, wobei er an gewissen Straßenkreuzungen stehenblieb und mit großen Schritten die Entfernungen abmaß. Auf dem Rückweg über den Quai d’Orsay setzte er sich dann auf die Brüstung und entschied, daß der Angriff von allen Seiten zugleich zu erfolgen habe: die Scharen von GrosCaillou würden über das ChampdeMars kommen, die Sektionen aus dem Pariser Norden über den Boulevard de la Madeleine, die von Westen und Süden die Quais entlangziehen oder in kleinen Gruppen in die Straßen des Faubourg SaintGermain einbiegen. Aber die ChampsElysées auf dem anderen Ufer machten ihm Sorge mit ihren ungedeckten Avenuen; er sah voraus, daß man dort Kanonen auffahren werde, um die Quais rein zu fegen. Daraufhin änderte er mehrere Einzelheiten des Plans und vermerkte die Kampfplätze der Sektionen in einem Heft, das er in der Hand hielt. Der eigentliche Angriff würde sicherlich über die Rue de Bourgogne und die Rue de l’Université stattfinden, während von der Seine aus ein Ablenkungsangriff erfolgen würde. Die frühe Morgensonne wärmte ihm den Nacken, entfaltete blonde Fröhlichkeit auf den breiten Bürgersteigen und vergoldete die Säulen des großen Baudenkmals vor ihm. Und schon sah er die Schlacht, sah Menschentrauben an den Säulen hängen, die Gitter geborsten, die Säulenhalle eingenommen, dann jäh ganz oben magere Arme, die eine Fahne aufpflanzten.
Langsam ging er zurück, den Kopf gesenkt. Ein Gurren ließ ihn hochsehen. Er wurde gewahr, daß er durch den Jardin des Tuileries ging. Über den Rasenplatz spazierte mit wippenden Kröpfen eine Schar Ringeltauben. Er lehnte sich einen Augenblick an den Kübel eines Orangenbaums und betrachtete das Gras und die von der Sonne gebadeten Ringeltauben. Gegenüber war der Schatten der Kastanienbäume ganz schwarz. Eine heiße Stille sank herab, unterbrochen von dem unausgesetzten Rollen fern hinter dem Gitter der Rue de Rivoli. Der Geruch des Grüns stimmte ihn sehr weich und ließ ihn an Frau François denken. Ein kleines Mädchen, das hinter einem Reifen herlief, kam vorbei und scheuchte die Ringeltauben auf. Sie flogen hoch und ließen sich in einer Reihe auf den Marmorarm eines antiken Ringkämpfers in der Mitte des Rasens gurrend nieder und plusterten sich noch lieblicher auf.
Als Florent durch die Rue Vauvilliers in die Markthallen zurückkam, hörte er Claude Lantiers Stimme, die ihn anrief. Der Maler war gerade dabei, in das Kellergeschoß der Halle von La Vallée hinunterzusteigen.
»Hallo! Kommen Sie mit«, rief er. »Ich suche dieses Vieh, den Marjolin.«
Florent folgte ihm, um sich einen Augenblick noch zu verweilen und seine Rückkehr zum Fischmarkt um einige Minuten hinauszuschieben.
Claude meinte, sein Freund Marjolin lasse jetzt nichts mehr zu wünschen übrig, er sei ein Tier. Er hegte den Plan, ihn auf allen vieren und mit seinem
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