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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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stellte auf der Schwelle des Fleischerladens seinen weißen Bauch zur Schau. Er war überrascht, sie um zehn Uhr morgens in großer Toilette ausgehen zu sehen.
    »Nanu, wo gehst du denn hin?« fragte er sie.
    Sie erfand eine Besorgung mit Frau Taboureau und fügte hinzu, daß sie am Théâtre de la Gaîté vorbeigehen würde, um Plätze zu bestellen. Quenu lief ihr nach, rief sie zurück und empfahl ihr, Mittelplätze zu nehmen, um besser sehen zu können. Als er wieder zurückging, begab sie sich an den Wagenhalteplatz an der Längsseite von SaintEustache und stieg in eine Droschke, deren Fenstervorhänge sie herunterließ, während sie dem Kutscher befahl, sie zum Théâtre de la Gaîté zu fahren. Sie befürchtete, man würde ihr folgen. Als sie ihre Karten hatte, fuhr sie weiter zum Justizpalast. Dort bezahlte sie vor dem Gitter und entließ den Wagen. Und langsam gelangte sie durch die Säle und Gänge zur Polizeipräfektur.
    Da sie sich in dem Tohuwabohu von Schutzleuten und Herren in großen Gehröcken verloren hatte, gab sie einem Mann zehn Sous, der sie bis zum Arbeitszimmer des Präfekten führte. Aber um zum Präfekten vorzudringen, war ein Audienzschein erforderlich. Sie wurde in ein schmales Zimmer, luxuriös wie ein Stundenhotel, geführt, wo eine dicke, kahlköpfige, ganz in Schwarz gekleidete Amtsperson sie mit grämlicher Kälte empfing. Sie konnte sprechen. Da hob sie ihren kleinen Schleier, nannte ihren Namen und erzählte rundweg alles in einem Zug. Die kahlköpfige Amtsperson hörte mit einem müden Gesichtsausdruck zu, ohne sie zu unterbrechen.
    Als sie geendet hatte, fragte die Amtsperson sie lediglich:
    »Sie sind die Schwägerin dieses Mannes, nicht wahr?«
    »Jawohl«, antwortete Lisa unumwunden. »Wir sind ehrbare Leute … Ich möchte nicht, daß mein Mann Unannehmlichkeiten hat.«
    Der Mann zuckte die Schultern, wie um zu sagen, daß das alles sehr langweilig sei. Dann begann er mit ungeduldigem Gesichtsausdruck:
    »Sehen Sie, seit über einem Jahr tötet man mir den Nerv mit dieser Geschichte. Ich erhalte eine Denunziation nach der anderen, man treibt mich, man drängt mich. Sie verstehen, ich unternehme nichts, weil ich vorziehe, abzuwarten. Wir haben unsere Gründe … Sehen Sie, hier ist das Aktenstück. Ich kann es Ihnen zeigen.«
    Er legte ein umfangreiches Paket mit Papieren in einem blauen Aktendeckel vor sie hin. Sie blätterte in den Beweisstücken. Es waren gleichsam die aus der Geschichte, die sie soeben erzählt hatte, herausgelösten Kapitel. Die Polizeikommissare von Le Havre, Rouen und Vernon meldeten Florents Ankunft. Darauf kam ein Bericht, der bestätigte, daß er sich bei den QuenuGradelles niedergelassen hatte. Dann seine Anstellung in den Markthallen, sein Leben, seine Abende bei Herrn Lebigre – keine Einzelheit war übergangen. Verblüfft merkte Lisa, daß zweifache Berichte vorlagen, daß sie zwei verschiedene Quellen haben mußten. Endlich fand sie noch einen Haufen Briefe, anonyme Briefe aller möglichen Formate und Handschriften. Das war der Gipfel! Sie erkannte die Krähenfüße von Fräulein Saget, die die Gesellschaft in dem verglasten Gelaß denunzierte. Sie erkannte einen großen Bogen fettigen Papiers, ganz befleckt mit Frau Lecœurs groben Strichen, und ein Stück Glanzpapier, das mit einem gelben Stiefmütterchen verziert und mit dem Gekritzel der Sarriette und Herrn Jules’ bedeckt war; diese beiden Briefe wiesen die Regierung darauf hin, auf Gavard achtzugeben. Sie erkannte die unflätige Schreibweise von Mutter Méhudin, die auf vier fast nicht zu entziffernden Seiten all die Räuberpistolen wiederholte, die über Florent in den Markthallen in Umlauf waren. Besonders erregt war sie über ein Rechnungsformular ihres Geschäftes mit dem Kopf »Fleischerei QuenuGradelle«, auf dessen Rückseite Auguste den Mann auslieferte, den er als das Hindernis für seine Heirat ansah.
    Der Beamte war jedoch damit, daß er sie die Akte einsehen ließ, einem Hintergedanken nachgegangen:
    »Ihnen ist keine dieser Handschriften bekannt?« fragte er.
    Sie stammelte ein Nein. Sie war aufgestanden. Durch das, was sie soeben erfahren hatte, blieb ihr völlig die Luft weg. Sie ließ den Schleier wieder herunterfallen und verbarg so die undeutliche Verwirrung, die sie in die Wangen steigen fühlte. Ihr seidenes Kleid knisterte, die dunklen Handschuhe verschwanden unter dem großen Schal.
    Der Kahlköpfige lächelte matt und bemerkte:
    »Sie sehen, meine Dame, Ihre Hinweise

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