Der Bauch von Paris - 3
einfältigen Lachen zu malen. Wenn er vor Wut eine Skizze vernichtet hatte, verbrachte er, ohne zu sprechen, Stunden in der Gesellschaft des Idioten und trachtete, sich dessen Lachen einzuprägen.
»Er nudelt wohl seine Tauben«, murmelte er. »Ich weiß bloß nicht, wo sich der Vorratsraum von Herrn Gavard befindet.«
Sie durchstöberten den ganzen Keller. In der Mitte fließen im bleichen Dunkel zwei Wasserleitungen. Die Vorratsräume sind ausschließlich den Tauben vorbehalten. Längs des Gitterwerks war ein unaufhörliches klägliches Zwitschern zu hören, wie verschwiegener Vogelsang unter dem Laub, wenn der Tag sinkt.
Claude fing an zu lachen, als er diese Musik hörte, und sagte zu seinem Begleiter:
»Wenn man da nicht schwören möchte, daß sich alle Verliebten von Paris hier drinnen küßten!«
Allerdings war kein Vorratsraum offen; der Maler begann schon zu glauben, daß Marjolin nicht im Keller sei, als ihn eine Geräusch von Küssen, aber von schallenden Küssen, vor einer nur angelehnten Tür stehenbleiben ließ. Er öffnete sie und gewahrte dieses Tier, den Marjolin, den Cadine so auf dem Stroh hatte niederknien lassen, daß sich das Gesicht des jungen Burschen gerade in der Höhe ihrer Lippen befand. Sanft küßte sie ihn überallhin. Sie schob seine langen blonden Haare beiseite, ging hinter die Ohren, unters Kinn, den Nacken entlang, kam auf die Augen und den Mund zurück, ohne sich zu beeilen, und verzehrte dieses Gesicht mit kleinen Liebkosungen wie etwas Gutes, das ihr gehörte, über das sie nach Belieben verfügte. Willfährig verharrte er, wie sie ihn hingestellt hatte. Er wußte nichts mehr, hielt sein Fleisch hin und fürchtete selbst Kitzeln nicht.
»Na also, da haben wir’s!« sagte Claude. »Laßt euch nicht stören! – Du schämst dich nicht, du nichtsnutziges Weibsbild, ihn in diesem Dreck zu quälen! Seine Knie sind ganz voller Kot.«
»Ach«, erwiderte Cadine frech, »das quält ihn nicht. Er hat es gern, daß man ihn küßt, weil er jetzt Angst hat an Stellen, wo es nicht hell ist … Nicht wahr, du hast Angst?« Sie hatte ihn aufgehoben; er strich mit den Händen über sein Gesicht und sah aus, als suche er die Küsse, die ihm die Kleine soeben aufgedrückt hatte. Er stammelte, er habe Angst, während sie fortfuhr: »Außerdem war ich hergekommen, um ihm zu helfen. Ich habe seine Tauben genudelt.«
Florent betrachtete die armen Tiere. Auf Brettern rings um den Vorratsraum waren Kisten ohne Deckel aufgereiht, in die die Tauben, dicht aneinandergepreßt, die Füße steif geworden, die weiße und schwarze Scheckigkeit ihres Gefieders brachten. Hin und wieder lief ein Erschauern über dieses bewegliche Tuch; dann kamen die Körper zur Ruhe, und es war nichts als ein wirres Gekakel zu kören. Cadine hatte eine Kasserolle mit Wasser und Körnern neben sich. Sie nahm ihren Mund voll, ergriff die Tauben eine nach der andern und blies ihnen einen Schluck in den Schnabel. Und erstickend wehrten sie sich und fielen mit weißen Augen, trunken von dieser mit Gewalt geschluckten Nahrung, auf den Boden der Kisten zurück.
»Diese Unschuldigen!« murmelte Claude.
»Da ist ihnen nicht zu helfen«, sagte Cadine, die fertig war. »Sie sind besser, wenn sie gut genudelt sind … Sehen Sie, in zwei Stunden bekommen sie außerdem noch Salzwasser zu schlucken. Das macht das Fleisch weiß und zart. Nach weiteren zwei Stunden werden sie dann geschlachtet … Aber wenn Sie das Schlachten sehen wollen, hier sind welche soweit, denen es Marjolin gleich besorgen wird.«
Marjolin trug ein halbes Hundert Tauben in einer Kiste davon. Claude und Florent folgten ihm. Er ließ sich an einer Wasserleitung auf dem Fußboden nieder, stellte die Kiste neben sich und legte auf eine Art Zinkkasten einen hölzernen Rahmen, der mit dünnen Quersparren vergittert war. Dann schlachtete er. Mit dem Messer zwischen den Fingern spielend, packte er rasch die Tauben bei den Flügeln, versetzte ihnen mit dem Griff einen Schlag auf den Kopf, der sie betäubte, und stieß ihnen die Spitze in die Kehle. Die Tauben bebten kurz auf, die Federn zerknitterten, während er sie der Reihe nach mit den Köpfen zwischen die Stäbe des Holzrahmens über dem Zinkkasten legte, in den das Blut Tropfen für Tropfen hineinfiel. Und das alles geschah in einer regelmäßigen Bewegung, mit dem Ticktack des Messergriffs auf den zerplatzenden Schädeln, mit der ausgewogenen Gebärde der nach den lebenden Tieren zugreifenden Hand einerseits
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