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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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betrachtete die Markthallen. Sie flammten in der Sonne. Ein großer Strahl drang hinten in den Eingang der überdachten Straße und durchbohrte die Masse der Hallen mit einem Säulengang von Licht; und prasselnd fiel auf die Fläche der Dächer ein glühender Regen. Das ungeheure Eisengebälk verschwamm, wirkte blau und war nur noch ein dunkler Schattenriß auf den Flammen der Feuersbrunst im Osten. Oben entzündete sich ein Fenster. Ein Tropfen Helligkeit rollte an den schrägen breiten Zinkblechplatten bis zu den Dachrinnen hinab. Das war jetzt eine in fliegendem Goldstaub brodelnde Stadt. Das Erwachen war angewachsen vom Schnarchen der Gemüsebauern, die unter ihren Mänteln dalagen, bis zum lebhafteren Wirbel der eintreffenden Waren. Die ganze Stadt zog jetzt die Gitter hoch; das Straßenpflaster summte, die Hallen dröhnten. Alle Stimmen setzten ein – man möchte sagen – in einem meisterhaften Erstrahlen dieses Tonsatzes, den Florent seit vier Uhr morgens im Dunkel sich dahinschleppen und anschwellen hörte. Rechts, links, von allen Seiten brachte Versteigerungsgekreisch die spitzen Töne der Pikkoloflöte in die dumpfen Bässe der Menge. Das war beim Seefisch, das bei der Butter, das beim Geflügel, das beim Fleisch. Glockenläuten wehte herüber, und hinterdrein bebte das Murmeln der Märkte, die geöffnet wurden. Rings um Florent setzte die Sonne das Gemüse in Flammen. Er erkannte das zarte Aquarell der bleichen Morgendämmerung nicht mehr wieder. Die weiter gewordenen Herzen des Salats brannten. Die Tonleiter des Grüns rauschte in strotzender Pracht. Die Möhren bluteten; die Rüben wurden weißglühend in diesem sieghaften Brand. Links von Florent stürzten noch immer Fuhrwerke mit Kohl unter ihrer Last fast zusammen. Er wandte den Blick und sah in der Ferne Rollwagen, die unaufhörlich aus der Rue Turbigo einmündeten. Das Meer stieg weiter. Er hatte es an seinen Knöcheln gefühlt, dann an seinem Bauch; jetzt drohte es, ihm über den Kopf zu gehen. Geblendet, ertränkt, mit sausenden Ohren und den Magen zermalmt von allem, was er gesehen, und neue unendliche Tiefen von Nahrung ahnend, bat er um Gnade, und ein wahnsinniges Weh ergriff ihn, so Hungers zu sterben in diesem vollgefressenen Paris, in diesem funkelnden Erwachen der Markthallen. Große heiße Tränen quollen aus seinen Augen.
    Er war in einen breiteren Gang gekommen. Zwei Frauen, eine kleine Alte und eine lange Dürre, gingen plaudernd an ihm vorbei zu den Hallen.
    »Sie wollen Ihre Einkäufe machen, Mademoiselle Saget?« fragte die lange Dürre.
    »Oh, Madame Lecœur, wenn man so sagen kann … Sie wissen ja, eine alleinstehende Frau. Ich lebe von nichts … Ich wollte einen kleinen Blumenkohl kaufen, aber alles ist so teuer … Und was kostet heute die Butter?«
    »Vierunddreißig Sous … Ich habe sehr gute. Wenn Sie zu mir herankommen wollen …«
    »Ja, ja, ich weiß nicht, ich habe noch ein bißchen Fett …«
    Mit einer übermenschlichen Anstrengung folgte Florent den beiden; er erinnerte sich, den Namen der kleinen Alten von Claude in der Rue Pirouette gehört zu haben, und nahm sich vor, sie anzureden, wenn sie die lange Dürre verlassen hätte.
    »Und Ihre Nichte?« fragte Fräulein Saget.
    »Die Sarriette tut was ihr gefällt«, antwortete Frau Lecœur bitter. »Sie wollte sich selbständig machen. Das geht mich nichts mehr an. Wenn die Männer sie dann ausgenommen haben, wird sie von mir auch kein Stück Brot bekommen.«
    »Sie waren so gut zu ihr … Sie müßte doch Geld verdienen; Obst bringt in diesem Jahr immerhin etwas ein … Und Ihr Schwager?«
    »Ach der …!« Frau Lecœur kniff die Lippen zusammen und schien nichts weiter sagen zu wollen.
    »Immer noch derselbe, wie?« fuhr Fräulein Saget fort. »Ist mir schon der Richtige … Ich habe mir sagen lassen, daß er sein Geld in einer Weise durchbringt …«
    »Weiß man denn, ob er sein Geld durchbringt?« entfuhr es Frau Lecœur. »Ein Geheimniskrämer ist er, ein knickeriger Kerl, ein Mann, sehen Sie, Mademoiselle, der mich eher verrecken ließe, als daß er mir hundert Sous leihen würde … Er weiß sehr gut, daß Butter ebenso wie Käse und Eier in dieser Jahreszeit nicht gehen. Er dagegen kann soviel Geflügel verkaufen, wie er will … Na, nicht ein einziges Mal hat er mir seine Hilfe angeboten. Ich bin zu stolz, etwas anzunehmen, verstehen Sie, aber ich hätte mich doch darüber gefreut.«
    »Ach, da ist ja Ihr Schwager«, bemerkte Fräulein Saget leise.
    Die

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