Der Bauch von Paris - 3
Er ging bis ans Ende der Straße. Im Trab kamen kleine Rollwagen angefahren und überfüllten den Markt von La Vallée mit Käfigen voll lebendem Geflügel und viereckigen Körben, in denen totes Geflügel eng aufeinandergeschichtet war. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig luden andere Rollwagen ganze Kälber aus, die in ein Tuch gewickelt waren und der Länge nach wie Kinder in Waschkörben lagen, aus denen nur die vier blutigen, weitauseinandergespreizten Stümpfe herausragten. Außerdem waren da ganze Hammel, Rinderviertel, Lenden und Schulterstücke. Die Fleischer mit großen weißen Schürzen zeichneten das Fleisch mit einem Stempel, fuhren es weg, wogen es ab und hängten es an Stangen zur Versteigerung aus. Das Gesicht an die Gitter gepreßt, beobachtete Florent diese Reihen herunterhängender Leiber, die roten Rinder und Hammel, die vom Fett und den Sehnen gelbgefleckten blasseren Kälber mit ihren aufgeschlitzten Bäuchen. Weiter ging er zum Kaldaunenmarkt hinüber, unter die bleichen Kalbsköpfe und füße, die säuberlich zu Packen zusammengerollten Kaidaunen in Kisten, die lecker in flachen Körben aufgereihten Hirne, die blutigen Lebern, die blaßvioletten Nieren. Er blieb bei den langen zweirädrigen, mit bauschigen Planen gedeckten Karren stehen; sie brachten halbe Schweine heran, die zu beiden Seiten an den Wagenleitern oberhalb einer Strohschicht befestigt waren. Die offenen Hinterteile der Karren ließen im flammenden Schimmer dieser regelmäßigen und nackten Fleischmassen von brennenden Kerzen umgebene Katafalke und Tabernakelvertiefungen sehen, und auf der Strohschicht standen Weißblechbüchsen voll Schweineblut. Eine dumpfe Wut erfaßte Florent; der fade Schlachthofgeruch und der scharfe Kaldaunengeruch brachten ihn zur Verzweiflung. Er trat aus der überdachten Straße und zog es vor, noch einmal zum Bürgersteig der Rue du PontNeuf zurückzukehren.
Es war ein Ringen mit dem Tode. Morgendliches Frösteln überkam ihn, er klapperte mit den Zähnen; er hatte Angst, hinzufallen und auf der Erde liegenzubleiben. Er suchte und fand nicht eine Ecke auf einer Bank; er wäre dort eingeschlafen, und es war ihm gleich, von Schutzleuten geweckt zu werden. Dann lehnte er sich, die Augen geschlossen, ein Sausen in den Ohren, mit dem Rücken an einen Baum, als blende ihn ein Flimmern. Die rohe Mohrrübe, die er, fast ohne sie zu kauen, hinuntergeschlungen hatte, zerriß ihm den Magen, und das Glas Punsch hatte ihn benebelt. Er war benebelt vor Elend, Erschöpfung und Hunger. Ein glühendes Feuer brannte ihm von neuem in der Brusthöhle; für Augenblicke faßte er mit beiden Händen dahin, wie um ein Loch zu verstopfen, durch das er, wie er glaubte, sein ganzes Sein entfliehen fühlte. Der Bürgersteig schwankte weit; sein Schmerz wurde so unerträglich, daß er wieder gehen wollte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Er ging geradeaus, geriet in Gemüse und verlor sich darin. Er schlug einen schmalen Seitenweg ein, bog in einen anderen ab, mußte umkehren, irrte sich und war wieder mitten im Gemüse. Einige Haufen waren so hoch, daß die Menschen zwischen zwei aus Packen und Bunden errichteten Mauern umhergingen. Die Köpfe ragten ein wenig darüber hinaus; an dem weißen oder schwarzen Fleck der Kopfbedeckungen sah man sie vorüberziehen, und die großen, in Höhe der Blätter schwankenden Kiepen glichen Nachen aus Weidenruten, die auf einem See von Moos schwammen. Florent stieß gegen tausend Hindernisse, gegen Träger, die Lasten aufnahmen, gegen Händlerinnen, die mit ihren rauhen Stimmen herumstritten. Er glitt aus auf der dicken Schicht von Kehricht und Obstresten, die den Fahrdamm bedeckte. Der starke Geruch der zertretenen Blätter benahm ihm den Atem. Da blieb er stumpfsinnig stehen; er nahm die Stöße der einen und die Schimpfworte der anderen hin. Er war nur noch eine Sache, die auf dem Grunde des steigenden Meeres hin und her geschlagen und gewälzt wurde.
Eine tiefe Mutlosigkeit befiel ihn. Er hätte am liebsten gebettelt. Sein alberner Stolz in der Nacht brachte ihn außer sich. Wenn er das Almosen von Frau François angenommen, wenn er nicht wie ein Blödling vor Claude Angst gehabt hätte, wäre er nicht mehr hier am Verröcheln zwischen diesen Kohlköpfen. Und er ärgerte sich vor allem, daß er sich nicht bei dem Maler über die Rue Pirouette erkundigt hatte. Jetzt war er allein und konnte auf dem Pflaster verrecken wie ein verlorener Hund.
Ein letztes Mal blickte er auf und
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