Der Bauch von Paris - 3
sie getan hat.« Lisa lächelte, wenn man zu ihr über diese Dinge in verhüllten Worten sprach. Sie und ihr Mann lebten wie vorher in guter Freundschaft und in glücklichem Frieden. Sie half ihm, begegnete seinen Händen im Hackfleisch, neigte sich über seine Schulter, um mit einem Blick die Kochtöpfe in Augenschein zu nehmen. Und nicht allein das große Herdfeuer in der Küche trieb ihnen das Blut unter die Haut.
Lisa aber war eine kluge Frau, die rasch begriff, was für eine Dummheit es war, die fünfundneunzigtausend Francs in ihrer Kommodenschublade schlafen zu lassen. Quenu hätte sie gern wieder auf den Boden des Pökelfasses zurückgelegt, bis er ebensoviel dazu verdient hätte; dann würden sie sich nach Suresnes zurückgezogen haben, einem kleinen Ort am Rande der Stadt, den sie gern hatten. Aber Lisa hatte andere Ambitionen. Die Rue Pirouette verletzte ihre Vorstellungen von Sauberkeit, frischer Luft, Licht und kerniger Gesundheit. Der Laden, in dem Onkel Gradelle seinen Schatz Sou für Sou zusammengetragen hatte, war eine Art schwarzer Schlauch, eine jener zweifelhaften Schlächtereien in den alten Stadtvierteln, deren abgetretenen Steinfliesen trotz allen Scheuerns der strenge Fleischgeruch anhaftet; und die junge Frau träumte von jenen modernen hellen Läden, die prächtig sind wie ein Salon und mit ihren blanken Scheiben auf den Bürgersteig einer breiten Straße hinausgehen. Es war übrigens nicht das kleinliche Verlangen, hinter dem Ladentisch die feine Dame zu spielen; sie war sich der luxuriösen Erfordernisse des neuzeitlichen Geschäftslebens klar bewußt. Quenu war zunächst entsetzt, als sie ihm ihre Absicht offenbarte, umzuziehen und einen Teil ihres Geldes für die Ausstattung eines Geschäfts auszugeben. Sie zuckte nur leicht mit den Schultern und lächelte.
Eines Abends, als die Nacht hereinbrach und es in der Schlächterei dunkel war, hörten die beiden Eheleute, wie vor ihrer Tür eine Frau aus dem Viertel zu einer anderen sagte: »Ach nein, ich kaufe nicht mehr bei denen, ich würde nicht einen Zipfel Blutwurst zu mir nehmen können, meine Liebe, sie wissen ja … In ihrer Küche hat doch ein Toter gelegen.« Quenu weinte deswegen. Diese Geschichte von dem Toten in seiner Küche sprach sich herum. Er wurde schließlich rot vor den Kunden, wenn er sie zu dicht an seiner Ware herumschnuppern sah. Er war es denn auch, der zu seiner Frau wieder von ihrem Einfall umzuziehen sprach. Sie hatte sich, ohne etwas zu sagen, wegen des neuen Ladens umgetan und hatte einen gefunden, ein paar Schritte weiter, in der Rue Rambuteau ausgezeichnet gelegen. Die Zentralmarkthallen, die man gegenüber aufmachte, würden die Kundschaft verdreifachen und das Haus in allen vier Ecken von Paris bekannt machen. Quenu ließ sich zu irrsinnigen Ausgaben hinreißen. Er steckte mehr als dreißigtausend Francs in Marmor, Spiegel und Vergoldungen hinein. Lisa brachte Stunden mit den Handwerkern zu und gab bei den geringsten Kleinigkeiten ihre Meinung von sich. Als sie sich endlich hinter dem Ladentisch niederlassen konnte, strömten die Käufer in Scharen herbei, allein schon, um sich den Laden anzusehen. Die Wandverkleidung war ganz aus weißem Marmor. Ein riesiger viereckiger Spiegel an der Decke wurde von einer breiten vergoldeten und reich verzierten Täfelung eingerahmt, und aus seiner Mitte hing ein vierarmiger Kronleuchter herab; und hinter dem Ladentisch, außerdem noch links und im Hintergrund, wurde die ganze Füllung von Spiegeln eingenommen, die zwischen den Marmorplatten angebracht waren. Seen von Helligkeit bildeten Türen, die sich bis ins Unendliche zu weiteren Räumen, die mit ausgestellten Fleisch waren angefüllt waren, aufzutun schienen. Den sehr großen Ladentisch rechts fand man besonders schön gearbeitet: Rauten aus rosa Marmor ließen symmetrisch eingelassene Medaillons hervortreten. Den Fußbodenbelag bildeten abwechselnd weiße und rosa Fliesenplatten mit einer dunkelroten Mäandereinfassung. Das ganze Stadtviertel war stolz auf seine neue Fleischerei, und niemandem fiel es mehr ein, von der Küche in der Rue Pirouette zu sprechen, in der ein Toter gelegen hatte. Einen Monat lang blieben die Nachbarinnen auf dem Bürgersteig stehen, um Lisa hinter den Zervelatwürsten und den Fettnetzstücken der Schaufensterauslage zu betrachten. Man bewunderte ihre weiße und rosige Haut ebensosehr wie den Marmor. Sie erschien als die Seele, das lebende Licht, das gesunde und handfeste Idol dieses
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