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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Quenu meinte: »Wenn ich nicht schon über sechzig wäre, mein Ehrenwort, ich würde die Dummheit begehen und sie heiraten … Eine Frau wie die im Geschäft, das ist Stangengold, mein Junge.«
    Quenu überbot ihn. Dennoch lachte er einem Nachbarn, der ihn eines Tages bezichtigte, in Lisa verliebt zu sein, ins Gesicht. Das scherte ihn nicht. Sie waren einfach gute Freunde. Abends gingen sie zusammen hinauf schlafen. Lisa hatte neben dem schwarzen Loch, in dem sich der junge Mann ausstreckte, eine kleine Kammer, die sie hübsch freundlich gemacht hatte, indem sie sie überall mit Musselinvorhängen ausschmückte. Einen Augenblick verweilten sie auf dem Flur, den Leuchter in der Hand, und plauderten, während sie den Schlüssel ins Schloß steckten. Dann machten sie ihre Türen wieder zu und sagten freundschaftlich:
    »Gute Nacht, Mademoiselle Lisa!«
    »Gute Nacht, Monsieur Quenu!«
    Quenu legte sich ins Bett und lauschte, wie Lisa ihren kleinen Kram erledigte. Die Wand war so dünn, daß er jede ihrer Bewegungen verfolgen konnte. Er dachte: Sieh mal an, sie zieht die Fenstervorhänge zu. Was mag sie wohl vor ihrer Kommode tun? Jetzt setzt sie sich und zieht ihre Schuhe aus. Wahrhaftig, gute Nacht, sie hat die Kerze ausgeblasen. Also schlafen wir. – Und wenn er das Bett krachen hörte, murmelte er lachend: »Donnerwetter! Leicht ist sie nicht, die Mademoiselle Lisa.« Diese Vorstellung machte ihm Spaß, und schließlich schlief er ein und dachte dabei an die Schinken und an die Streifen frisch gesalzenen Schweinefleischs, das am Morgen fertigzumachen war.
    Das ging so ein Jahr, ohne daß Lisa auch nur einmal errötete oder Quenu in Verwirrung geriet. Morgens, wenn mitten in der Hauptarbeit das Mädchen in die Küche kam, begegneten sich ihre Hände in dem Gehackten. Sie half ihm manchmal, hielt mit ihren molligen Fingern die Därme, während er sie mit Fleisch und Speckstücken vollstopfte. Oder sie kosteten zusammen das rohe Fleisch der Würstchen mit der Zungenspitze, um festzustellen, ob es richtig gewürzt sei. Sie konnte gute Ratschläge erteilen, denn sie kannte sich aus mit den in Südfrankreich üblichen Zubereitungsweisen, die er mit Erfolg ausprobierte. Oft spürte er, wie sie ihm über die Schulter tief in die Fleischtöpfe sah und ihm dabei so nahe kam, daß ihr starker Busen seinen Rücken berührte. Sie reichte ihm einen Löffel oder eine Schüssel zu. Das heftige Feuer trieb ihnen das Blut unter die Haut. Um nichts in der Welt hätte er aufgehört, den Fettbrei zu rühren, der auf dem Herd immer dicker wurde, während sie ganz ernsthaft erörterte, wie gar er schon sei. Am Nachmittag, wenn sich der Laden leerte, plauderten sie stundenlang ruhig miteinander. Sie blieb, ein wenig zurückgelehnt, hinter ihrem Ladentisch und strickte sanft und regelmäßig. Er setzte sich auf einen Hauklotz, baumelte mit den Beinen und klopfte mit den Absätzen gegen das Eichenholz. Und sie verstanden sich wunderbar; sie sprachen über alles, am meisten über Kochkunst, dann über Onkel Gradelle und dann noch über die Leute ihres Viertels. Sie erzählte ihm Geschichten wie einem Kinde. Sie wußte sehr hübsche Wunderlegenden voller Lämmer und Englein, die sie mit ihrer Flötenstimme und ganz ernstem Gesicht vortrug. Wenn eine Kundin eintrat, bat sie, um sich nicht stören zu lassen, den jungen Mann um den Topf mit Schweineschmalz oder die Büchse mit Weinbergschnecken. Um elf Uhr gingen sie wie am Abend vorher langsam hinauf schlafen. Wenn sie dann ihre Türen zumachten, sagten sie mit ihrer ruhigen Stimme:
    »Gute Nacht, Mademoiselle Lisa.«
    »Gute Nacht, Monsieur Quenu.«
    Eines Morgens wurde Onkel Gradelle, als er gerade ein Sülzgericht zubereitete, vom Schlag getroffen. Er stürzte mit der Nase auf den Hacktisch. Lisa verlor nicht ihre Geistesgegenwart. Sie meinte, der Tote dürfe nicht mitten in der Rüche liegenbleiben, und ließ ihn nach hinten in ein kleines Stübchen bringen, in dem der Onkel sonst schlief. Dann legte sie sich mit dem Gesellen eine Geschichte zurecht; der Onkel müsse in seinem Bett gestorben sein, wenn man nicht das ganze Viertel verekeln und die Kundschaft verlieren wolle. Stumpfsinnig half Quenu die Leiche tragen, ganz verwundert, keine Tränen zu finden. Später weinte er mit Lisa gemeinsam. Zusammen mit seinem Bruder Florent war er Alleinerbe. Die Klatschbasen in den Nachbarstraßen schrieben dem alten Gradelle ein beträchtliches Vermögen zu. In Wahrheit war nicht ein einziger

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