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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Fleischerladens; und man nannte sie nur noch »die schöne Lisa«.
    Rechts vom Laden befand sich das Eßzimmer, ein sehr sauberer Raum mit einem Büfett, einem Tisch und hellen Eichenholzstühlen mit Rohrgeflecht. Die den Parkettfußboden bedeckende Matte, die zartgelbe Tapete und das Wachstuch, das ein Eichenpaneel nachahmen sollte, ließen ihn etwas kalt wirken, einzig vom Schimmer einer von der Decke herabhängenden kupfernen Ampel freundlicher gemacht, die über dem Tisch ihren großen Schirm aus durchscheinendem Porzellan ausbreitete.
    Aus dem Eßzimmer führte eine Tür in die geräumige viereckige Küche, an die sich hinten ein kleiner, mit Steinplatten ausgelegter Hof anschloß, in dem man altes Gerümpel abstellte und wo sich ausgediente Terrinen, Fässer und Gerätschaften türmten; links vom Wasserhahn hauchten längs der Regenrinne, in die das Spülwasser geschüttet wurde, die verwelkten Blumen aus den Schaufenstern vollends ihr Leben aus.
    Das Geschäft ging ausgezeichnet. Quenu, den die Ausgaben im voraus doch erschreckt hatten, empfand fast Respekt für seine Frau, die, wie er sagte, »ein kluger Kopf« war. Nach fünf Jahren hatten sie nahezu achtzigtausend Francs in guten Staatspapieren angelegt. Lisa erklärte, daß sie nicht ehrgeizig und nicht darauf aus seien, allzu schnell Geld zusammenzuraffen; sonst hätte sie ihren Mann veranlaßt, Hunderttausende zu verdienen, indem sie ihn dazu anhielt, mit Schweinen im Großen zu handeln. Sie seien noch jung, sie hätten Zeit vor sich. Außerdem seien sie nicht für Pfuscherarbeit zu haben, sie wollten arbeiten, wie es ihnen behagte, ohne vor Sorgen abzumagern, als brave Leute, die auf gutes Leben Wert legen.
    »Sehen Sie«, erzählte Lisa, wenn sie gerade gesprächig war, »ich habe in Paris einen Vetter … Ich sehe ihn nie, die beiden Familien sind entzweit. Er hat den Namen Saccard angenommen, um gewisse Dinge vergessen zu machen … Nun ja, dieser Vetter, hat man mir gesagt, verdient Millionen. So was lebt ja gar nicht, so was versengt sich das Blut, immer unterwegs in höllischen Geschäften. Das ist doch unmöglich, daß so einer abends ruhig seine Mahlzeit ißt, nicht wahr? Wir, wir wissen wenigstens, was wir essen, und haben keine solchen Scherereien. Unsereins sieht nur aufs Geld, weil man es zum Leben braucht. Natürlich will man es gut haben. Wenn man aber bloß verdienen soll, um zu verdienen, sich mehr Ärger machen soll, als man hinterher Vergnügen genießt, auf Ehre, da würde ich lieber die Hände in den Schoß legen … Und dann möchte ich diese Millionen meines Vetters erst einmal sehen. Ich glaube nicht an solche Millionen. Neulich habe ich ihn in seinem Wagen gesehen; ganz gelb war er. Er sah mir recht danach aus, als ob er was zu verbergen hätte. Einer, der Geld verdient, hat keine solche Farbe. Aber schließlich geht das ihn allein an … Wir wollen lieber bloß unsere hundert Sous verdienen und bei den hundert Sous gedeihen.«
    Ihr Hauswesen gedieh in der Tat. Nach dem ersten Jahr ihrer Ehe bekamen sie eine Tochter. Allen dreien leuchteten die Augen vor Freude. Die Familie lebte sorglos, glücklich, ohne sich zu sehr anzustrengen, ganz wie es sich Lisa wünschte. Umsichtig hatte Lisa alle Gründe zu Aufregungen aus dem Weg geräumt und ließ die Tage inmitten dieser fetthaltigen Luft, dieses schwerfälligen Wohlergehens dahinfließen. Es war ein Winkel vernünftig überlegten Glücks, eine bequeme Futterkrippe, an der sich Mutter, Vater und Tochter mästeten. Nur Quenu überkam manchmal Traurigkeit, wenn er an seinen armen Florent dachte. Bis zum Jahre 1856 erhielt er ab und zu Briefe von ihm. Dann hörten die Briefe auf; aus einer Zeitung erfuhr er, daß drei Deportierte von der Teufelsinsel16 hätten entfliehen wollen und ertrunken seien, bevor sie die Küste erreicht hatten. Auf der Polizeipräfektur konnte man ihm keine genauen Auskünfte geben; sein Bruder mußte wohl tot sein. Dennoch bewahrte er einige Hoffnung; aber die Monate vergingen. Florent, der HolländischGuayana durchstreifte, hütete sich zu schreiben, weil er immer noch hoffte, nach Frankreich zurückzukehren. Quenu beweinte ihn schließlich wie einen Toten, von dem man nicht hat Abschied nehmen können. Lisa kannte Florent nicht. Sie fand jedesmal sehr liebevolle Worte, wenn sich ihr Mann in ihrer Gegenwart der Verzweiflung hingab; sie ließ sich zum hundertsten Male die Geschichten aus seiner Jugend erzählen, von der großen Stube in der Rue RoyerCollard,

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