Der Bauch von Paris - 3
von den sechsunddreißig Berufen, die er gelernt hatte, von den Leckerbissen, die er – ganz in Weiß gekleidet, während sein Bruder ganz in Schwarz gekleidet war – im Ofen zu braten pflegte. Ruhig und mit unendlichen Entgegenkommen hörte sie ihm zu.
Mitten in diese klug gepflegten und herangereiften Freuden platzte an einem Septembermorgen Florent zu der Stunde herein, da Lisa ihr morgendliches Sonnenbad nahm und Quenu mit noch vom Schlaf dicken Augen träge die Finger in das geronnene Fett vom Abend vorher steckte. Die ganze Fleischerei stand auf dem Kopf. Gavard wollte, daß sie den »Proskribierten«, wie er ihn nannte und wobei er die Backen ein bißchen aufblies, versteckten. Lisa, bleicher und ernster als sonst, ließ ihn schließlich in den fünften Stock hinaufgehen, wo man ihm die kleine Stube des Ladenmädchens gab. Quenu hatte Brot und Schinken abgeschnitten. Aber Florent konnte kaum essen; Schwindel und Übelkeit überkamen ihn. Er legte sich hin und blieb fünf Tage im Bett mit heftigem Delirium und einer beginnenden Gehirnentzündung, die glücklicherweise wirkungsvoll bekämpft wurde. Als er wieder zu sich kam, gewahrte er Lisa am Kopfende seines Bettes, die geräuschlos mit einem Löffel in einer Tasse rührte. Als er ihr danken wollte, sagte sie zu ihm, er müsse sich ruhig verhalten und man würde sich später aussprechen. Nach drei Tagen war der Kranke wieder auf den Beinen. Da ging Quenu eines Morgens hinauf ihn holen und sagte ihm, daß Lisa sie im ersten Stock in ihrem Zimmer erwarte.
Sie hatten da eine kleine Wohnung von drei Zimmern und einer Kammer inne. Zuerst mußte man durch eine leere Stube, in der nur Stühle standen, dann durch einen kleinen Salon, dessen Möbel, unter weißen Schonbezügen verborgen, verschwiegen schliefen im Dämmerlicht der Jalousien, die stets heruntergelassen waren, damit die zu grelle Helligkeit dem zarten Blau des Rips nicht schadete, und so kam man ins Schlafzimmer, den einzigen bewohnten Raum, der sehr behaglich mit Mahagonimöbeln eingerichtet war. Besonders das Bett war überwältigend mit seinen vier Matratzen, seinen vier Kopfkissen, seinen dicken Decken, seinem Plumeau, seiner bauchigen Schläfrigkeit hinten in dem leicht feuchten Alkoven. Es war ein Bett, so recht zum Schlafen geschaffen. Der Spiegelschrank, die Waschkommode, das runde, mit einer gehäkelten Spitze bedeckte Tischchen, die mit viereckigen Klöppeldecken geschützten Stühle brachten hier einen lauteren und gediegenen bürgerlichen Luxus hinein. An der Wand links hingen zu beiden Seiten des Kamins, den zwei auf Kupferaufsätzen stehende Vasen mit Landschaftsmalereien schmückten und eine Stutzuhr mit einem ganz vergoldeten, in Gedanken versunkenen Gutenberg17, der den Finger auf ein Buch legte, die Ölgemälde von Quenu und Lisa in reich mit Verzierungen beladenen ovalen Rahmen; Quenu lächelte, Lisa sah untadelig aus, beide in Schwarz, die Gesichter geschmeichelt gezeichnet, laviert, verwaschen, in einem verdünnten Rosa. Ein Moketteteppich, auf dem sich komplizierte Rosetten mit Sternen mischten, verbarg das Parkett. Vor dem Bett lag einer jener Kelimvorleger, die aus langen gekräuselten Wollfäden angefertigt werden, ein Geduldswerk, das die schöne Fleischersfrau hinter ihrem Ladentisch gestrickt hatte. Verwunderlich aber wirkte inmitten all dieser neuen Sachen ein an der rechten Wand stehender großer vierschrötiger untersetzter Sekretär, den man neu aufpoliert hatte, ohne dabei weder die Scharten im Marmor ausbessern noch die Schrammen in dem vor Alter schwarzen Mahagoni unsichtbar machen zu können. Lisa hatte dieses Möbel, dessen sich Onkel Gradelle über vierzig Jahre bedient hatte, erhalten wollen; sie sagte, es würde ihnen Glück bringen. In Wahrheit hatte es fürchterliche Eisenbeschläge, ein Gefängnisschloß und war so schwer, daß man es nicht von der Stelle rücken konnte.
Als Florent und Quenu eintraten, saß Lisa vor der heruntergeklappten Platte des Sekretärs, schrieb und reihte mit großer, runder und sehr leserlicher Schrift Zahlen aneinander. Sie machte ein Zeichen, daß man sie nicht stören solle, und die beiden Männer setzten sich. Florent betrachtete überrascht das Zimmer, die beiden Bilder, die Stutzuhr, das Bett.
»So«, sagte Lisa endlich, nachdem sie bedächtig eine ganze Seite mit Berechnungen nachgeprüft hatte. »Hören Sie einmal zu … Wir haben Ihnen Rechenschaft abzulegen, mein lieber Florent.« Es war das erste Mal, daß sie ihn so
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