Der Bauch von Paris - 3
Rost lag nur noch eine gewöhnliche Wurst, die man vergessen hatte.
»Sehen Sie auf der andern Seite nach, Mademoiselle Saget«, meinte die Fleischersfrau, »dort liegt noch ein Kotelett, glaube ich.«
»Nein, das sagt mir nicht zu«, brummelte die kleine Alte, die nichtsdestoweniger ihre Nase unter den zweiten Deckel steckte. »Ich hatte mich darauf gespitzt, aber panierte Koteletts sind am Abend doch zu schwer … Ich würde auch lieber etwas nehmen, was ich nicht erst heiß machen muß.«
Sie hatte sich nach der Seite gewandt, wo Florent saß, betrachtete ihn, betrachtete Gavard, der mit den Fingern auf dem Marmortisch den Zapfenstreich trommelte, und forderte sie mit einem Lächeln auf, in ihrer Unterhaltung fortzufahren.
»Warum nehmen Sie nicht ein Stück gekochtes Pökelfleisch?« fragte Lisa.
»Ein Stück gekochtes Pökelfleisch, ja wirklich …« Sie nahm die Gabel mit dem Weißmetallgriff, die am Rande der Schüsles lag, mäkelte und stocherte an jedem Stück gekochten Pökelfleischs herum. Sie klopfte leicht auf die Knochen, um auf ihre Dicke zu schließen, drehte alles hin und her, musterte die paar rosa Fleischstücke und wiederholte mehrmals: »Nein, nein, das sagt mir nicht zu.«
»Dann nehmen Sie doch eine Zunge, ein Stück Schweinskopf, eine Scheibe gespicktes Kalbfleisch«, sagte die Fleischersfrau geduldig.
Aber Fräulein Saget schüttelte den Kopf. Sie blieb noch einen Augenblick stehen und verzog über den Platten angewidert das Gesicht; als sie dann merkte, daß man bestimmt nicht reden und sie nichts in Erfahrung bringen würde, ging sie und meinte dabei:
»Nein, sehen Sie, ich hatte Appetit auf ein paniertes Kotelett, aber das, was Sie noch haben, ist zu fett … Ein andermal.«
Lisa neigte sich vor, um ihr zwischen den Fettnetzstücken in der Auslage hindurch nachzublicken. Sie sah sie den Fahrdamm überqueren und in die Obsthalle gehen.
»Alte Ziege!« brummte Gavard. Und als sie allein waren, berichtete er, welche Stellung er für Florent gefunden hatte. Es war eine ganze Geschichte. Einer seiner Freunde, Herr Verlaque, der Seefischhallenaufseher, war so leidend, daß er sich gezwungen sah, Urlaub zu nehmen. Gerade diesen Morgen hatte der arme Mann zu ihm gesagt, daß es ihm sehr lieb wäre, wenn er selber einen Vertreter vorschlagen könnte, um sich die Stellung zu sichern, wenn es ihm besser ginge.
»Ihr versteht«, fügte Gavard hinzu, »Verlaque hat keine sechs Monate mehr zu leben. Florent wird die Stellung behalten. Es ist ein hübscher Posten … Und die Polizei wird von uns reingelegt! Die Stellung untersteht der Präfektur27. Na, das wird recht spaßig, daß Florent von seinen Gefängniswärtern sein Geld bezieht.« Er fand das urkomisch und lachte voller Behagen.
»Ich will diese Stellung nicht«, erklärte Florent rundheraus. »Eher krepiere ich vor Hunger, als daß ich in den Dienst der Präfektur trete. Das ist unmöglich, verstehen Sie, Gavard!«
Gavard verstand und war ein wenig betroffen. Quenu hatte den Kopf gesenkt. Lisa aber hatte sich umgedreht und sah Florent scharf an, während ihr Hals anschwoll und ihr Busen fast das Mieder sprengte. Sie wollte gerade den Mund aufmachen, als die Sarriette eintrat. Erneut entstand Stillschweigen.
»Ah, ja!« rief die Sarriette mit ihrem lieblichen Lachen. »Ich habe doch Speck zu kaufen vergessen … Madame Quenu, schneiden Sie mir zwölf Scheiben ab, aber hübsch dünn, nicht wahr? Für Lerchen … Jules wollte Lerchen essen … Na geht’s gut, Onkel?« Sie erfüllte den Laden mit ihren närrischen Röcken. Von einer milchigen Frische, die Haare vom Wind in den Hallen auf einer Seite zerzaust, lächelte sie jeden an. Gavard hatte ihre Hände ergriffen, und sie meinte in ihrer Unverfrorenheit: »Ich wette, daß ihr von mir gesprochen habt, als ich hereinkam. Was haben Sie denn gesagt, Onkel?«
Lisa rief sie zu sich heran.
»Sehen Sie, ist das so dünn genug?« Sie schnitt die Speckscheiben fein säuberlich auf einem Brettchen vor ihr ab. Dann schlug sie sie in Papier ein und fragte: »Brauchen Sie sonst noch irgend etwas?«
»Richtig, da ich mich schon einmal aufgemacht habe«, meinte die Sarriette, »so geben Sie mir noch ein Pfund Schweineschmalz … Ich schwärme nun einmal für Pommes frites, für zwei Sous mache ich mir ein Mittagessen aus Pommes frites und einem Bund Radieschen … Ja, ein Pfund Schmalz, Madame Quenu.«
Die Fleischersfrau hatte ein stärkeres Blatt Papier auf eine Waagschale gelegt. Sie nahm
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