Der Bauch von Paris - 3
streuen. Sie lächelte Marjolin zu.
»Herr Gavard«, sagte der junge Mann, »schickt mich, ich soll Sie fragen …« Er hielt inne, sah um sich und senkte die Stimme. »Er hat mir eingeschärft, zu warten, bis niemand im Laden ist, und Ihnen die Worte auszurichten, die er mich hat auswendig lernen lassen: ›Frage sie, ob keine Gefahr besteht und ob ich kommen kann, um mit Ihnen über das Bewußte zu sprechen.‹«
»Sage Herrn Gavard, daß wir ihn erwarten«, antwortete Lisa, die an das geheimnisvolle Gebaren des Geflügelhändlers gewöhnt war.
Aber Marjolin ging noch nicht fort; er blieb mit einem Ausdruck schmeichlerischer Unterwürfigkeit verzückt vor der schönen Fleischersfrau stehen.
Gleichsam gerührt von dieser stummen Verehrung fuhr Lisa fort:
»Gefällt es dir bei Herrn Gavard? Das ist kein schlechter Mensch; du wirst gut daran tun, ihn zufriedenzustellen.«
»Ja, Madame Lisa.«
»Bloß, du bist unvernünftig; ich habe dich noch gestern auf den Dächern der Hallen gesehen; außerdem verkehrst du mit einem Haufen übler Kerle und Frauenzimmer. Du bist jetzt ein Mann; du mußt doch an deine Zukunft denken.«
»Ja, Madame Lisa!«
Sie mußte einer Dame antworten, die ein Pfund Koteletts mit Pfeffergurken bestellen kam. Sie verließ den Ladentisch und trat an den Hackklotz hinten im Laden. Dort trennte sie mit einem schmalen Messer drei Koteletts von einem Schweinsrippenstück ab; und, mit einem Hackmesser ausholend, führte sie aus ihrem nackten und kräftigen Handgelenk heraus drei kurze Schläge. Hinten hob sich bei jedem Schlag ein wenig ihr Rock aus Merinowolle, während sich die Fischbeinstäbe ihres Korsetts auf dem straff gespannten Stoff des Mieders abzeichneten. Sie war sehr ernst, hatte zusammengekniffene Lippen und helleuchtende Augen, als sie die Koteletts aufnahm und gemächlich abwog.
Als die Dame gegangen war und Lisa Marjolin bemerkte, der entzückt war, daß er sie diese drei knappen und straffen Schläge mit dem Hackmesser hatte führen sehen, rief sie aus:
»Wie! Du bist noch immer hier?«
Und er schickte sich gerade an, aus dem Laden zu gehen, da hielt sie ihn zurück.
»Höre mal«, sagte sie zu ihm, »wenn ich dich noch einmal mit dieser kleinen Schlampe, der Cadine, sehe … Streite das nicht ab! Heute früh wart ihr noch zusammen auf dem Kaldaunenmarkt zusehen, wie den Hammeln die Köpfe eingeschlagen werden … Ich verstehe nicht, wie so ein hübscher Mann wie du an dieser Herumtreiberin, an diesem Straßenmädchen Gefallen finden kann … Los, geh, sage Herrn Gavard, daß er sofort herkommen soll, solange niemand da ist.«
Verwirrt und mit verstörtem Gesicht ging Marjolin, ohne zu antworten.
Die schöne Lisa blieb am Ladentisch stehen, den Kopf ein wenig den Markthallen zugewandt. Überrascht, sie so schön zu finden, betrachtete Florent sie stumm. Er hatte sie bis jetzt nicht richtig gesehen; er verstand es nicht, Frauen anzuschauen. Da erschien sie ihm über den Fleischwaren auf dem Ladentisch. Vor ihr waren auf weißen Porzellanschalen angeschnittene Arleser und Lyoneser Würste zur Schau gestellt, Zungen und Stücken gekochtes Pökelfleisch, Schweinekopfsülze in Gelee, ein offener Topf mit feingehacktem, in Schmalz gebratenem Schweinefleisch und eine Büchse Sardinen, deren Metall aufgeschnitten war und einen See von Öl sehen ließ, ferner rechts und links auf Brettchen Lebersülze und Preßkopf, ein gewöhnlicher blaßrosa Schinken, ein Yorker Schinken mit blutigem Fleisch unter breiter Fettschwarte. Außerdem standen da noch runde und ovale Schalen mit nappierter Zunge, getrüffelte Sülze, Wildschweinskopf mit Pistazien, während ganz dicht bei ihr unter ihren Händen gespicktes Kalbfleisch, Leberpastete und Hasenpastete in gelben Terrinen standen. Da Gavard noch nicht kam, ordnete sie den Brustspeck auf der kleinen Marmoretagere am Ende des Ladentisches, stellte den Topf mit Schweineschmalz und den mit Bratenfett in eine Linie, wischte die beiden neusilbernen Waagschalen ab und befühlte den Würstchenkessel, dessen Wärmpfanne im Ausgehen war; und schweigend wandte sie wieder den Kopf und begann von neuem zu den Hallen hinüberzublicken. Der Fleischduft stieg auf; in ihrer trägen Ruhe war sie vom Duft der Trüffeln wie benommen. An diesem Tage hatte sie eine prächtige Frische; das Weiß ihrer Schürze und ihrer Ärmel bildete die Fortsetzung vom Weiß der Platten bis zu ihrem üppigen Hals, ihren rosigen Wangen, wo die zarten Farbtöne der Schinken und
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