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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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fehlen zu lassen, als er sich so bei ihnen niederließ. Zweifel kamen ihm. Die Erinnerung an die Unterhaltung am Nachmittag im Laden verursachte ihm ein unbestimmtes Unbehagen. Er war wie befallen vom Geruch des Fleisches auf dem Ladentisch; er fühlte, wie er in eine weiche satte Feigheit abglitt. Vielleicht hatte er Unrecht gehabt, diesen Aufseherposten abzulehnen, den man ihm anbot. Dieser Gedanke löste in ihm einen schweren Kampf aus; er mußte sich einen Ruck geben, um die Unbeugsamkeit seines Gewissens wiederzufinden. Ein feuchter Wind war aufgekommen und wehte durch die überdachte Straße. Als er gezwungen war, seinen Gehrock zuzuknöpfen, gewann er eine gewisse Ruhe und Sicherheit zurück. Der Wind beseitigte aus seinen Kleidern jenen fetten Fleischereigeruch, der ihn ganz schlapp machte.
    Als er nach Hause zurückging, begegnete er Claude Lantier. Tief in seinen grünlichen Überzieher gehüllt, sprach der Maler mit dumpfer und zorniger Stimme. Er ereiferte sich über die Malerei, sagte, das sei ein Hundeberuf zum Gotterbarmen, schwor, er werde sein Leben lang keinen Pinsel mehr anrühren. Am Nachmittag hatte er mit einem Fußtritt einen Studienkopf vernichtet, für den ihm dieses Frauenzimmer, die Cadine, gesessen hatte. Er war diesen Aufwallungen eines Künstlers unterworfen, der gegenüber den dauerhaften und lebensvollen Werken, von denen er träumte, versagte. Dann existierte nichts mehr für ihn; er irrte durch die Straßen, sah schwarz und erwartete den nächsten Tag wie eine Auferstehung. Gewöhnlich, sagte er, fühle er sich morgens gut aufgelegt und abends schrecklich unglücklich; jeder seiner Tage sei eine lange, verzweifelte Anstrengung. Florent hatte Mühe, den unbekümmerten Bummler der nächtlichen Hallen wiederzuerkennen. Sie hatten sich schon im Fleischerladen wiedergetroffen. Claude, der die Geschichte des Deportierten kannte, hatte ihm die Hand gedrückt und gesagt, er sei ein tapferer Mann. Er kam übrigens sehr selten zu Quenus.
    »Sie sind immer noch bei meiner Tante?« fragte Claude. »Ich weiß nicht, wie Sie es anstellen, in der Umgebung dieser Küche zu bleiben. Das stinkt doch da drin. Wenn ich eine Stunde dort verbringe, habe ich das Gefühl, für drei Tage genug gegessen zu haben. Es war auch nicht richtig von mir, heute morgen hinzugehen; deswegen ist mir meine Studie mißglückt.« Und nachdem sie einige Schritte schweigend gegangen waren, fuhr er fort: »Ah, die biederen Leute! Sie tun mir geradezu weh, so wohl befinden sie sich. Ich hatte daran gedacht, sie zu porträtieren, aber ich bin niemals imstande gewesen, diese runden Gesichter zu zeichnen, die keine Knochen haben … Sehen Sie, meine Tante Lisa würde ihren Kasserollen bestimmt keine Fußtritte geben. Ich war schön dumm, Cadines Kopf zu vernichten. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, war er vielleicht gar nicht schlecht.«
    Dann sprachen sie von Tante Lisa. Claude sagte, seine Mutter besuche die Fleischersfrau seit langem nicht mehr. Er gab zu verstehen, diese schäme sich ihrer Schwester, die einen Arbeiter geheiratet habe; außerdem mache sie sich nichts aus Leuten, denen es nicht gut gehe. Was ihn selbst betraf, so erzählte er, daß ein wackerer Mann, hingerissen von den Eseln und braven Frauen, die er schon mit acht Jahren zeichnete, es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn aufs Gymnasium zu schicken; dieser wackere Mann sei gestorben und habe ihm tausend Francs Jahreszinsen hinterlassen, was ihn vorm Verhungern bewahre.
    »Weiß Gott«, fuhr er fort, »ich würde lieber Arbeiter sein … Sehen Sie, zum Beispiel Tischler. Sie sind sehr glücklich, die Tischler! Sie haben einen Tisch zu machen, nicht wahr? Sie machen ihn und legen sich schlafen, glücklich, ihren Tisch fertig zu haben, und sind vollkommen zufrieden … Ich, ich schlafe kaum in der Nacht. Alle diese verfluchten Skizzen, die ich nicht vollenden kann, gehen mir im Kopf herum. Niemals bin ich fertig, niemals, niemals.« Seine Stimme brach sich fast in Schluchzen. Dann versuchte er zu lachen. Er fluchte, suchte unflätige Worte, stürzte sich in Schmutz mit der kalten Raserei eines zarten und erlesenen Geistes, der an sich selbst zweifelt und davon träumt, sich zu besudeln. Schließlich kauerte er sich vor einer der Luken nieder, die zu den Kellern der Hallen führen, wo unausgesetzt das Gas brennt. Er zeigte Florent, wie dort in jener Tiefe Marjolin und Cadine auf einer der steinernen Schlachtbänke der Geflügelverschläge saßen und ruhig ihr

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