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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Fräulein Saget.
    »Vetter!« antwortete die Normande mit gellender Stimme. »Sie glauben an einen Vetter, Sie! – Irgendein Liebster, dieser lange Lümmel!«
    Die drei anderen Klatschbasen schrien laut auf. Lisas Ehrbarkeit war einer der Glaubensartikel des ganzen Stadtviertels.
    »Gehen Sie mir doch! Weiß man denn je, woran man ist bei diesen dicken RührmichnichtanHeiligen, die nichts als fett sind! Ich möchte sie gern mal ohne Hemd sehen, ihre Tugend! Ihr Mann ist ein viel zu großer Trottel, als daß sie ihm keine Hörner aufsetzt.«
    Fräulein Saget schüttelte den Kopf, wie um zu sagen, daß sie nicht abgeneigt sei, sich dieser Meinung anzuschließen. Vorsichtig fing sie wieder an:
    »Um so mehr, als der Vetter, man weiß nicht von wo, hereingeschneit ist und die Geschichte, die die Quenus erzählen, doch sehr verdächtig klingt.«
    »Er ist eben der Liebhaber der Dicken!« behauptete die Fischhändlerin von neuem. »Irgendein Taugenichts, irgendein Herumtreiber, den sie auf der Straße aufgelesen haben wird. Das sieht man ja.«
    »Magere Männer sind Männer, die tüchtig rangehen«, erklärte die Sarriette mit überzeugter Miene.
    »Sie hat ihn ganz neu eingekleidet«, gab Frau Lecœur zu bemerken. »Er muß sie schön was kosten.«
    »Ja, ja, Sie dürften recht haben«, murmelte die alte Jungfer. »Man müßte wissen …«
    Sie kamen also überein, einander von dem, was in der Bruchbude der QuenuGradelles vor sich gehen sollte, auf dem laufenden zu halten. Die Butterhändlerin versicherte, sie wolle ihrem Schwager über die Häuser, in dem er verkehrte, die Augen öffnen. Die Normande hatte sich indessen ein wenig beruhigt; sie ging ihrer Wege, sie war im Grunde gutmütig, und es war ihr wohl selber leid, zuviel erzählt zu haben. Nachdem sie gegangen war, meinte Frau Lecœur hinterhältig:
    »Ich bin überzeugt, daß die Normande ausfallend geworden ist, das ist ihre Art … Sie sollte lieber nicht über vom Himmel gefallene Vettern herziehen, wo sie doch selber in ihrem Fischladen ein Kind gefunden hat.«
    Alle drei sahen sich lachend an. Als sich aber Frau Lecœur ihrerseits entfernt hatte, sagte die Sarriette:
    »Es ist nicht richtig von meiner Tante, sich mit solchen Geschichten zu befassen; davon magert sie ab. Mich hat sie immer geschlagen, wenn die Männer mich ansahen. Sehen Sie, die kann suchen, die wird kein Balg unter ihrem Keilkissen finden.«
    Fräulein Saget lachte von neuem. Als sie allein war und in die Rue Pirouette zurückging, dachte sie, »diese drei dummen Puten« seien nicht den Strick wert, um sie aufzuhängen. Übrigens hätte sie gesehen werden können, und es wäre sehr mißlich, sich mit den QuenuGradelles, schließlich reichen und geachteten Leuten, zu verfeinden. Sie machte einen Umweg und ging in die Rue Turbigo zur Bäckerei Taboureau, der schönsten Bäckerei im Viertel. Frau Taboureau war eine vertraute Freundin Lisas und besaß in jeder Beziehung unbestrittene Autorität. Wenn es hieß: »Madame Taboureau hat dies gesagt, Madame Taboureau hat jenes gesagt«, so hatte man sich dem zu beugen. Unter dem Vorwand, sich zu erkundigen, wann der Ofen heiß sei, damit sie ein Blech mit Birnen bringen könne, erzählte die alte Jungfer das Allerbeste über die Fleischersfrau und erging sich in Lobeshymnen über die Sauberkeit dort und über die Vorzüglichkeit ihrer Blutwurst. Froh über dieses moralische Alibi und entzückt, den hitzigen Kampf, den sie witterte, geschürt zu haben, ohne sich mit jemand zu überwerfen, ging sie entschlossen und sorgloser nach Hause und drehte in ihrem Gedächtnis hundertmal das Bild von Frau Quenus Vetter hin und her.
    Am gleichen Abend ging Florent nach dem Essen aus und in einer der überdachten Straßen der Markthallen einige Zeit spazieren. Ein feiner Nebel stieg auf; über den leeren Hallen lag eine graue, mit den gelben Tränen der Gaslaternen besetzte Traurigkeit. Zum ersten Mal kam sich Florent lästig vor; er war sich bewußt, wie unangebracht er mitten in diese feiste Welt als einfältiger Hungerleider hineingeschneit war. Er gestand es sich unumwunden ein, daß er das ganze Viertel störe, daß er eine Last für Quenus wurde, ein eingeschmuggelter Vetter, dessen Aussehen einen in zu große Unannehmlichkeiten brachte. Diese Überlegungen stimmten ihn sehr traurig. Nicht, daß er bei seinem Bruder oder bei Lisa auch nur das geringste Übelwollen bemerkt hätte; er litt sogar unter ihrer Güte. Er warf sich vor, es an Zartgefühl habe

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