Der Bauch von Paris - 3
Sommers leer geworden war. Abends wurde sogar über den Ladenschluß hinaus gearbeitet. Quenu packte, von Auguste und Léon unterstützt, die Würste zusammen, bereitete die Schinken zu, ließ das Schweineschmalz aus, sorgte für Brustspeck, für mageren Speck und für Speck zum Spicken. Es herrchte ein fürchterlicher Lärm von Kochtöpfen und Hackmessern; Küchengerüche stiegen im ganzen Haus auf. Alles das ohne den laufenden Fleischwarenhandel, den Verkauf der frischen Fleischwaren, der Leber und Hasenpasteten, der Sülzen, der Brat und Blutwürste zu beeinträchtigen.
An diesem Abend gegen elf Uhr hatte Quenu, der zwei Kochtöpfe mit Schweineschmalz in Schwung gebracht hatte, mit der Blutwurst zu tun; Auguste half ihm. An der einen Ecke des viereckigen Tisches besserten Lisa und Augustine Wäsche aus, während Florent vor ihnen an der anderen Seite des Tisches saß, das Gesicht dem Herd zugewandt, und der kleinen Pauline zulächelte, die auf seine Füße geklettert war und wollte, daß er sie »in die Luft fliegen« lasse. Hinter ihnen hackte Léon auf dem Eichenklotz mit langsamen und gleichmäßigen Schlägen Wurstfleisch.
Auguste ging erst einmal zwei Kannen Schweineblut vom Hof holen. Seine Aufgabe war es, im Schlachthaus die Tiere abzustechen. Er nahm das Blut und die Eingeweide und überließ es den Burschen vom Brühhaus, die fertig zubereiteten Tiere am Nachmittag in ihrem Wagen herüberzubringen. Quenu behauptete, daß Auguste im Abstechen unter allen Schlächtergesellen von Paris nicht seinesgleichen hätte. Tatsächlich verstand sich Auguste außerordentlich auf die Qualität des Blutes. Die Blutwurst wurde jedesmal gut, wenn er sagte:
»Die Blutwurst wird gut.«
»Na, werden wir gute Blutwurst bekommen?« fragte Lisa. Er setzte seine beiden Kannen ab und sagte langsam:
»Ich glaube, Madame Quenu, ja, ich glaube … Ich sehe das vor allem an der Art, wie das Blut fließt. Wenn ich das Messer herausziehe und das Blut kommt zu sacht, ist das kein gutes Zeichen, sondern ein Beweis, daß es keinen Gehalt hat …«
»Aber«, unterbrach Quenu, »das hängt auch davon ab, wie das Messer hineingestoßen worden ist.«
Augustes blasses Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.
»Nein, nein«, antwortete er, »ich stoße das Messer immer vier Finger tief rein; das ist das Maß … Aber, sehen Sie, das beste Zeichen ist immer noch, wenn das Blut fließt und ich es im Eimer auffange und dabei mit der Hand umrühre. Dann muß es schön warm sein und sahnig, ohne zu dick zu sein.«
Augustine hatte ihre Nadel sinken lassen. Sie hob die Augen und sah Auguste an. Ihr rotes Gesicht mit dem harten kastanienbraunen Haar nahm einen Ausdruck tiefer Aufmerksamkeit an. Auch Lisa und sogar die kleine Pauline hörten gleichfalls mit großem Interesse zu.
»Ich rühre, rühre, rühre, nicht wahr?« fuhr der Bursche fort und machte mit der Hand eine Bewegung in der Luft, als schlage er Sahne. »Nun, wenn ich meine Hand rausziehe und sie ansehe, muß sie mit dem Blut wie eingefettet sein, so daß dieser rote Handschuh überall gleichmäßig rot ist … Dann kann man mit Sicherheit sagen: ›Die Blutwurst wird gut!‹« Einen Augenblick blieb er mit der Hand in der Luft selbstgefällig in weicher Haltung stehen. Diese Hand, die in Eimern voll Blut lebte, war ganz rosig, hatte lebhafte Fingernägel und stak im weißen Ärmel.
Quenu hatte beifällig mit dem Kopf genickt. Schweigen trat ein. Léon hackte noch immer.
Pauline, die nachdenklich dagesessen hatte, kletterte ihrem Onkel wieder auf die Füße und rief mit ihrer hellen Stimme:
»Du, Onkel, erzähl doch die Geschichte von dem Mann, den die Tiere aufgefressen haben.« Zweifellos hatte die Vorstellung von dem Schweineblut in diesem Mädchenkopf die Vorstellung von dem Mann, »den die Tiere aufgefressen haben«, geweckt.
Aber Florent verstand nicht und fragte, von welchem Mann. Lisa fing an zu lachen.
»Sie meint die Geschichte von dem Unglücklichen, wissen Sie, die Geschichte, die Sie eines Abends Gavard erzählt haben. Sie wird sie mit angehört haben.«
Florents Gesicht war ganz ernst geworden.
Die Kleine holte auf ihrem Arm den dicken gelben Kater, legte ihn dem Onkel auf den Schoß und sagte, Mouton wolle die Geschichte auch hören. Aber Mouton sprang auf den Tisch. Dort blieb er, saß da, machte einen Buckel und betrachtete diesen großen hageren Burschen, der seit vierzehn Tagen für ihn Gegenstand ständiger tiefsinniger Überlegungen zu sein schien.
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