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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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heraufsetzte oder senkte, ohne daß man hätte erklären können warum. Als sie an die Dreißig kam, sollten ihre angeborene Feingliedrigkeit, ihre dünne Haut, die das Wasser der Fischbecken ständig erfrischte, ihr kleines Gesicht mit den verschwommenen Zügen, ihre geschmeidigen Glieder schwerfällig werden und die Erschlaffung einer Kirchenfensterheiligen, die in den Markthallen in schlechte Gesellschaft geraten ist, durchmachen. Aber mit Zweiundzwanzig war sie inmitten ihrer Karpfen und Aale ein Murillo, wie sich Claude Lantier ausdrückte, ein oft ungekämmter Murillo mit groben Schuhen und wie mit der Axt zugeschnittenen Kleidern, in denen sie wie ein Brett aussah. Sie war nicht gefallsüchtig und zeigte sich sehr verächtlich, wenn Louise ihre Bänderschleifen zur Schau trug und sie wegen ihrer schief geknüpften Halstücher aufzog. Es wurde erzählt, daß der Sohn eines reichen Handelsmannes aus dem Viertel vor Wut auf Reisen gegangen sei, weil er kein gutes Wort von ihr hatte erlangen können.
    Louise, die schöne Normande, hatte sich liebevoller gezeigt. Ihre Heirat mit einem Angestellten der Getreidehalle kam nicht zustande, weil ein herabstürzender Sack Mehl dem Unglücksmenschen das Kreuz brach. Nichtsdestoweniger kam sie sieben Monate später mit einem kräftigen Kind nieder. In der Umgebung der Méhudins wurde die schöne Normande als Witwe betrachtet. Die alte Fischfrau meinte mitunter: »Wenn mein Schwiegersohn noch lebte …«
    Die Méhudins waren eine Macht. Als Herr Verlaque Florent vollständig über seine neuen Obliegenheiten ins Bild setzte, empfahl er ihm, mit gewissen Händlerinnen schonend umzugehen, wenn er sich nicht das Leben unmöglich gestalten wolle; er ging in seinem Wohlwollen so weit, ihm kleine Berufsgeheimnisse beizubringen: wo man mal ein Auge zudrücken oder aber den strengen Mann spielen müsse und wo man Geschenke annehmen dürfe. Ein Aufseher ist Polizeikommissar und Friedensrichter zugleich, der über schickliches Marktgebaren wacht und Zwistigkeiten zwischen Käufer und Verkäufer schlichtet. Florent, der von Natur aus weich war, machte sich starr, schoß jedesmal über das Ziel hinaus, wenn er befehlend auftreten mußte; und die Bitterkeit seiner langen Leiden und sein finsteres Pariagesicht nahmen außerdem gegen ihn ein.
    Die schöne Normande befolgte die Taktik, ihn in irgendeinen Streit hineinzuziehen. Sie hatte geschworen, daß er seinen Posten keine vierzehn Tage behalten würde.
    »Ach ja, wenn die dicke Lisa annimmt, wir wollen das, was sie übrigläßt«, sagte sie zu Frau Lecœur, die sie eines Morgens traf. »Wir haben mehr Geschmack als sie. Er ist abscheulich, ihr Kerl.«
    Wenn Florent nach der Auktion langsamen Schrittes seinen Inspektionsgang durch die vom Wasser triefenden Gänge antrat, sah er bestimmt die schöne Normande, die ihn mit unverschämtem Lachen verfolgte. Ihr Stand in der zweiten Reihe links neben den Süßwasserständen lag mit der Vorderseite zur Rue Rambuteau. Sie drehte sich um, ließ ihr Opfer nicht aus den Augen und machte sich mit den Nachbarinnen lustig. Wenn er dann, langsam die Steintische musternd, an ihr vorbeikam, heuchelte sie eine unbändige Fröhlichkeit, beklopfte die Fische, öffnete den Wasserhahn ganz weit und überschwemmte den Gang. Florent scherte sich nicht darum.
    Aber eines Morgens brach verhängnisvollerweise der Krieg aus. An diesem Tag spürte Florent, als er vor dem Stand der schönen Normande anlangte, einen unerträglichen Gestank. Auf dem Marmor lagen ein prachtvoller, schon angeschnittener Lachs, der das rosige Blond seines Fleisches sehen ließ, sahneweiße Steinbutten, mit der schwarzen Nadel, die zur Kennzeichnung der einzelnen Stücke dient, angestochene Meeraale, Seezungenpaare, Rötlinge, Barsche, eine ganz frische Auslage. Und inmitten dieser Fische mit lebhaften Augen und noch blutenden Kiemen machte sich ein großer rötlicher, mit dunklen Flecken marmorierter Rochen breit, wunderbar in seinen seltsamen Farbtönungen; der große Rochen war faulig, der Schwanz hing herunter, das Fischbein der Flossen stach durch die steife Haut.
    »Dieser Rochen muß weggeworfen werden«, sagte Florent, näher tretend.
    Die schöne Normande lachte kurz auf. Er blickte auf und sah sie dastehen, an den Bronzeständer der beiden Gaslampen gelehnt, die die vier Plätze jedes Standes beleuchteten. Sie kam ihm sehr groß vor, weil sie, um ihre Füße vor der Nässe zu schützen, auf irgendeine Kiste gestiegen war. Sie

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