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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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miteinander abrechnen«, sagte er halblaut.
    »Gewiß, heute abend«, murmelte sie. »Übrigens muß sich das ausgleichen. Ich habe viermal mit dir Mittag gegessen, nicht wahr? Aber vorige Woche habe ich dir hundert Sous geliehen.«
    Überrascht wandte Florent den Kopf ab, um nicht indiskret zu sein. Und als Clémence die letzte Rolle hatte verschwinden lassen, trank sie einen Schluck Grog, lehnte sich an die Glaswand und hörte ruhig den Männern zu, die von Politik redeten. Gavard hatte wieder die Zeitung genommen und las mit einer Stimme, die er drollig zu machen trachtete, Bruchstücke aus der am Vormittag bei der Eröffnung der Kammern gehaltenen Thronrede vor. Charvet hatte da leichtes Spiel mit diesen offiziellen leeren Phrasen; er ließ keine Zeile davon stehen. Eine Phrase vor allem machte ihnen Riesenspaß: »Wir haben das Vertrauen, meine Herren, daß es uns, auf Ihre Erleuchtungen und auf die konservative Gesinnung des Landes gestützt, gelingen wird, den allgemeinen Wohlstand von Tag zu Tag zu erhöhen.« Stehend trug Logre diese Phrase vor und ahmte, durch die Nase sprechend, recht gut die belegte Stimme des Kaisers nach.
    »Schön ist er, sein Wohlstand«, sagte Charvet. »Alle Welt verreckt vor Hunger.«
    »Die Geschäfte gehen sehr schlecht«, bestätigte Gavard.
    »Und dann, was ist das überhaupt, ein ›auf Erleuchtungen gestützter‹ Herr?« fragte Clémence, die sich gern auf ihre Belesenheit etwas zugute tat.
    Sogar Robine entschlüpfte aus der Tiefe seines Bartes ein leises Lachen. Die Unterhaltung wurde hitziger. Man kam dabei auf den Corps législatif, mit dem man sehr schlecht verfuhr. Logre konnte sich nicht beruhigen; Florent entdeckte in ihm den guten Ausrufer von der Seefischhalle wieder mit dem vorgeschobenen Unterkiefer, den Worte ins Leere schleudernden Händen, der geduckten und bellenden Haltung. Über Politik sprach er gewöhnlich mit demselben wütenden Aussehen, mit dem er einen Korb Seezungen zur Versteigerung ausbot. Charvet dagegen wurde kühler im Pfeifen und Gaslampendunst, der das enge Gelaß erfüllte; seine Stimme nahm die Schroffheit eines Hackmessers an, während Robine sanft den Kopf wiegte, ohne das Kinn von dem Elfenbein seines Stockes zu nehmen. Dann kam man auf eine Bemerkung Gavards hin auf die Frauen zu sprechen.
    »Die Frau«, erklärte Charvet rundheraus, »ist dem Manne gleich; und deshalb darf sie ihn nicht in seinem Leben behindern. Die Ehe ist ein Gemeinschaftsunternehmen … Alles halbehalbe, nicht wahr, Clémence?«
    »Ganz gewiß«, antwortete die junge Frau, den Kopf an die Glaswand gelehnt und die Augen ins Leere gerichtet.
    Jetzt sah Florent den fliegenden Obst und Gemüsehändler Lacaille eintreten und den kräftigen Alexandre, Claude Lantiers Freund. Die beiden hatten lange Zeit hindurch an dem anderen Tisch des kleinen Gelasses gesessen und gehörten nicht zur Gesellschaftsschicht dieser Herren. Dann war ihnen die Politik behilflich, ihre Stühle näher heranzurücken, und sie wurden in die Gesellschaft aufgenommen. Charvet, in dessen Augen sie das Volk vertraten, redete sehr belehrend auf sie ein, während Gavard den vorurteilsfreien Krämer herauskehrte und mit ihnen anstieß. Alexandre hatte die schöne abgerundete Fröhlichkeit eines Riesen und das Aussehen eines großen, glücklichen Kindes. Der verbitterte und schon grau werdende Lacaille, der jeden Abend wie gerädert war von seinem ewigen Wandern durch die Straßen von Paris, betrachtete mitunter mit scheelem Blick Robines bürgerliche Gelassenheit, sein gutes Schuhwerk und seinen dicken Überzieher. Sie ließen sich jeder ein Gläschen bringen, und die Unterhaltung wurde jetzt, da die Gesellschaft vollzählig war, stürmischer und hitziger fortgesetzt.
    Außerdem gewahrte Florent an diesem Abend durch die halboffene Tür in der Wand Fräulein Saget, die vor dem Schanktisch stand. Sie hatte eine Flasche unter ihrer Schürze hervorgezogen und sah Rose an, die sie ihr mit einem großen Maß schwarzem Johannisbeersaft und einem kleineren Maß Branntwein füllte. Dann verschwand die Flasche wieder unter der Schürze, und, die Hände verborgen, plauderte sie im weiten weißen Widerschein des Schanktisches dem Spiegel gegenüber, wo die Kruken und Likörflaschen Reihen venezianische Lampions aufzuhängen schienen. Abends entbrannte das überheizte Lokal mit all seinem Metall und all seinen Kristallen. Die alte Jungfer bildete mit ihren schwarzen Röcken einen seltsamen Insektenfleck inmitten

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