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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sie auf die schöne Lisa eifersüchtig wurde. Sie rückte mit ihrem Stuhl noch näher und schaute Florent mit einem verwirrenden Lächeln an.
    »Aber Mama, du stößt mich am Ellbogen, du hinderst mich beim Schreiben«, sagte Murx zornig. »Siehst du, da ist nun ein Klecks! Rück doch ein bißchen ab!«
    Nach und nach kam sie darauf, viel Schlechtes über die schöne Lisa zu reden. Sie behauptete, Lisa verhehle ihr Alter und schnüre sich zum Ersticken fest in ihre Korsetts; wenn die Fleischersfrau gleich am frühen Morgen gebügelt und geschniegelt, daß kein einziges Haar hervorstehe, herunterkomme, so nur deshalb, weil sie nicht angezogen ganz fürchterlich aussehen müsse. Dabei hob sie ein wenig die Arme, um zu zeigen, daß sie im Hause kein Korsett trage; und sie behielt ihr Lächeln bei und brachte ihre prachtvolle Brust zur Geltung, die man unter dem lässig befestigten dünnen Jäckchen wogen und leben sah. Der Unterricht wurde unterbrochen. Interessiert sah Murx zu, wie seine Mutter die Arme hob. Florent hörte zu und lachte sogar bei dem Gedanken, wie schrullig die Frauen doch seien. Die Rivalität zwischen der schönen Normande und der schönen Lisa machte ihm Spaß.
    Inzwischen hatte Murx seine Seite zu Ende geschrieben. Florent, der eine schöne Handschrift hatte, arbeitete die Schreibvorlage aus, Papierstreifen, auf die er mit großen und kleinen Buchstaben sehr lange, die ganze Zeile einnehmende Worte schrieb. Er zeigte eine Vorliebe für die Worte »tyrannisch, freiheitsmörderisch, verfassungswidrig, revolutionär«; oder er ließ auch das Kind Sätze abschreiben wie »Der Tag der Gerechtigkeit wird kommen«, »Das Leiden des Gerechten ist die Verurteilung des Bösen«, »Wenn die Stunde schlägt, wird der Schuldige fallen«. Beim Schreiben dieser Vorlagen gehorchte er ganz unbefangen den Ideen, die ihm im Gehirn herumspukten; er vergaß Murx, die schöne Normande, alles um sich. Murx würde auch den »Gesellschaftsvertrag«33 abgeschrieben haben. Jeden Buchstaben genau abmalend, reihte er ganze Seiten lang »tyrannisch« und »verfassungswidrig« aneinander.
    Bis der Lehrer ging, strich Mutter Méhudin brummend um den Tisch herum. Sie hegte gegen Florent nach wie vor einen furchtbaren Groll. Ihrer Meinung nach hatte es keinen Sinn und Verstand, den Kleinen abends so arbeiten zu lassen zu einer Stunde, da Kinder schlafen müssen. Sie würde den »langen Dürren« zweifellos vor die Tür gesetzt haben, wenn ihr die schöne Normande nach einer sehr stürmischen Auseinandersetzung nicht rundweg erklärt hätte, daß sie anderswo hinzöge, falls es ihr nicht überlassen bliebe, bei sich zu empfangen, wer ihr gut schien. Übrigens begann dieser Streit jeden Abend von neuem.
    »Du kannst sagen, was du willst«, meinte die Alte immer wieder, »er hat einen bösen Blick … Außerdem traue ich den Dürren nicht. Ein dürrer Mensch ist zu allem fähig. Noch niemals habe ich einen guten Menschen unter denen angetroffen … Dem ist der Bauch todsicher in den Hintern gerutscht, denn er ist platt wie ein Brett … und mit so was ist es nicht schön! Ich, die ich über fünfundsechzig bin, möchte den nicht in meinem Nachtschrank haben.« Sie sagte das alles, weil sie nur zu gut sah, welchen Verlauf die Dinge nahmen. Und mit Bewunderung sprach sie von Herrn Lebigre, der sich wirklich sehr gefällig zur schönen Normande zeigte. Abgesehen davon, daß er eine beträchtliche Mitgift witterte, dachte er, daß sich die junge Frau prächtig hinter dem Schanktisch ausnehmen würde. Die Alte fand kein Ende: Der sei wenigstens nicht ausgemergelt; er müsse tüchtig wie ein Türke sein. Sie ging so weit, sich für seine sehr kräftigen Waden zu begeistern.
    Aber die schöne Normande zuckte die Achseln und erwiderte scharf: »Ich pfeife auf seine Waden; ich habe kein Verlangen nach irgend jemandes Waden … Ich mache nur das, was mir paßt.« Und wenn die Mutter weiterreden wollte und zu deutlich wurde, schrie die Tochter: »Na was denn! Das geht dich nichts an … Das stimmt übrigens nicht. Und wenn es stimmte, würde ich dich nicht um Erlaubnis darum fragen. Laß mich in Ruhe!« Sie ging in ihr Zimmer zurück und schlug die Tür zu. Sie nahm in dem Haus eine Machtstellung ein, die sie mißbrauchte.
    Nachts stand die Alte auf, wenn sie irgendwelches Geräusch aufgeschnappt zu haben glaubte, um barfuß an der Tür ihrer Tochter zu horchen, ob nicht Florent zu ihr zurückgekommen sei. Aber dieser hatte bei den Méhudins

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