Der Bauch von Paris - 3
Fisch und verdorbene Wurstwaren. Aber der eigentliche Kampfposten war für die schöne Normande hinter ihrem Stand und für die schöne Lisa hinter ihrem Ladentisch, von wo aus sie sich über die Rue Rambuteau hinweg Blitze zuschleuderten. Da thronten sie dann in ihren großen weißen Schürzen, ihrem Kleiderstaat und ihrem Schmuck. Schon am frühen Morgen begann die Schlacht.
»Sieh doch! Die dicke Kuh ist aufgestanden«, schrie die schöne Normande. »Wie ihre Würste ist sie wieder geschnürt … Na ja, sie hat den Kragen von Sonnabend um und trägt immer noch ihr Popelinekleid!«
Im gleichen Augenblick sagte die schöne Lisa auf der anderen Seite der Straße zu ihrem Ladenmädchen:
»Sehen Sie nur, Augustine, wie dieses Geschöpf uns anstarrt. Sie ist ganz unförmig geworden bei dem Leben, das sie führt … Können Sie ihre Ohrringe erkennen? Ich glaube, sie hat wieder ihre großen Birnen, nicht wahr? Es kann einem leid tun um die Brillanten an solchen Weibern!«
»Und wofür sie die bekommen hat«, entgegnete Augustine gefällig.
Wenn eine von ihnen ein neues Schmuckstück trug, so war das ein Sieg, und die andere platzte vor Ärger. Während des ganzen Vormittags neideten sie einander die Kunden und waren schlechter Laune, wenn sie sich einbildeten, daß das Geschäft bei dem »Weibsstück da drüben« besser ginge. Dann kam das Ausspionieren des Mittagessens. Eine jede wußte, was es bei der anderen gab, und sogar die Verdauung wurde belauert. Am Nachmittag saß die eine zwischen ihrem gekochten Fleisch, die andere zwischen ihren Fischen; sie setzten sich in Positur, taten geziert und gaben sich unendliche Mühe. Das war die Stunde, die den Erfolg des Tages entschied. Die schöne Normande stickte; sie wählte sehr feine Nadelarbeiten, was die schöne Lisa außer sich brachte.
»Sie täte besser«, meinte sie, »ihrem Jungen, der barfuß herumlaufen muß, die Strümpfe zu stopfen … Sehen Sie nur, dieses feine Fräulein mit den roten Händen, die nach Fisch stinken!«
Sie strickte gewöhnlich.
»Sie ist immer noch bei derselben Socke«, bemerkte die andere. »Sie schläft ja bei der Arbeit, weil sie zuviel ißt … Falls ihr Mann, dem sie Hörner aufsetzt, darauf warten will, um es warm an den Füßen zu haben!«
Bis zum Abend blieben sie unerbittlich, machten Bemerkungen über jeden Besuch, hatten ein so treffsicheres Auge, daß sie die geringsten Kleinigkeiten erfaßten, wenn andere Frauen erklärten, auf diese Entfernung überhaupt nichts zu bemerken. Fräulein Saget war voller Bewunderung für Frau Quenus gute Augen, als diese eines Tages sogar einen Kratzer auf der linken Wange der Fischhändlerin entdeckte.
»Mit solchen Augen«, meinte sie, »müßte man ja durch alle Türen hindurchsehen können.«
Die Nacht brach herein, und oft war der Sieg noch nicht entschieden. Manchmal blieb eine von ihnen auf der Strecke, aber am nächsten Tage nahm sie Rache. Im ganzen Viertel wurden auf die schöne Lisa oder auf die Normande Wetten abgeschlossen.
Es kam so weit, daß sie ihren Kindern verboten, miteinander zu spielen. Pauline und Murx waren bis dahin gute Freunde: Pauline mit ihren gestärkten Röcken eines richtigen kleinen Fräuleins und der zerlumpte, fluchende und sich herumschlagende Murx, der so wundervoll Fuhrmann spielte. Wenn sie sich zusammen auf dem breiten Bürgersteig vor der Fischhalle vergnügten, war Pauline der Wagen. Aber eines Tages, als Murx sie nichtsahnend abholen wollte, setzte ihn die schöne Lisa vor die Tür und schalt ihn einen Straßenjungen.
»Was weiß man denn von diesen schlechterzogenen Kindern!« sagte sie. »Der hat so schlechte Beispiele vor Augen, daß ich keine Ruhe habe, wenn er mit meiner Tochter zusammen ist.«
Der Junge war sieben Jahre alt.
Fräulein Saget, die dabei war, fügte hinzu:
»Sie haben durchaus recht. Immerzu steckt dieser Taugenichts mit den kleinen Mädchen aus dem Viertel zusammen … Einmal hat man ihn mit der Tochter des Kohlenhändlers im Keller gefunden.«
Die schöne Normande bekam eine furchtbare Wut, als ihr Murx heulend das Vorgefallene erzählte. Sie wollte bei den QuenuGradelles alles kurz und klein schlagen. Dann begnügte sie sich, Murx die Rute zu geben.
»Wenn du jemals wieder dorthin gehst«, schrie sie wütend, »kriegst du es mit mir zu tun.«
Das eigentliche Opfer der beiden Frauen war jedoch Florent. Im Grunde hatte er allein sie auf Kriegsfuß gestellt, und sie kämpften nur um ihn. Seit seiner Ankunft wurde alles
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