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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Mindestmenge an Verpflegung sichern sollte. Den Rücken gekrümmt und in ernste Dinge versunken, brachte er einen großen schwarzen Schatten in die Lieblichkeit des Mansardenstübchens. Und vom Licht der Lampe getäuscht, schmetterte ab und zu der Buchfink, den er einmal bei Schneewetter in den Markthallen aufgelesen hatte, in die Stille hinein, die nur das Kratzen der über das Papier eilenden Feder unterbrach.
    Schicksalhaft kam Florent wieder auf die Politik zurück. Er hatte zuviel durch sie erlitten, als daß er sie nicht zur Lieblingsbeschäftigung seines Lebens gemacht hätte. Ohne die Umwelt und die Umstände wäre er ein guter Provinzlehrer geworden und glücklich über den Frieden seiner kleinen Stadt gewesen. Aber man hatte ihn wie einen Wolf behandelt, und jetzt hielt er sich durch die Verbannung gleichsam gebrandmarkt zu irgendeiner schweren Kampfaufgabe. Sein nervöser Zustand war nur das Erwachen aus dem langen Grübeln in Cayenne, aus seiner Verbitterung angesichts der unverdienten Leiden, aus seinen Schwüren, eines Tages die mit Peitschenschlägen gegeißelte Menschheit und die mit Füßen getretene Gerechtigkeit zu rächen. Die riesigen Hallen mit ihrer überquellenden und kräftigen Nahrung hatten die Krise beschleunigt. Sie erschienen ihm als das satte und verdauende Tier, als das dickbäuchige Paris, das sein Fett sich setzen ließ und stumpfsinnig das Kaiserreich stützte. Rings um ihn brachten sie ungeheure Brüste, unförmige Lenden und runde Gesichter hervor als ständiges Argument gegen seine Hagerkeit eines Märtyrers, gegen sein gelbes Gesicht eines Unzufriedenen. Es war der Krämerbauch, der Bauch durchschnittlicher Ehrbarkeit, der sich aufblähte, glücklich war, in der Sonne glänzte und fand, daß alles zum besten stünde, daß Leute mit friedlichen Sitten niemals so schön Fett angesetzt hätten. Da fühlte er, wie sich seine Fäuste ballten, bereit waren zu einem Ringen, vom Gedanken an seine Verbannung mehr aufgebracht als bei seiner Rückkehr nach Frankreich. Der Haß packte ihn wieder ganz und gar. Oft ließ er die Feder sinken, er träumte. Das sterbende Feuer fleckte sein Gesicht mit einer großen Flamme. Die kohlehaltige Lampe blakte, während der Buchfink mit dem Kopf unter dem Flügel, auf einem Bein stehend, wieder einschlief.
    Manchmal klopfte Auguste, wenn er vor dem Schlafengehen um elf Uhr Licht unter der Tür sah. Etwas ungeduldig öffnete ihm Florent. Der Fleischergeselle setzte sich, verweilte vor dem Feuer, sprach wenig und gab niemals eine Erklärung, warum er kam. Die ganze Zeit betrachtete er die Fotografie, die Augustine und ihn Hand in Hand im Sonntagsstaat darstellte. Florent glaubte schließlich zu verstehen, daß er sich sonderbarerweise gern in dieser Stube aufhielt, in der das Mädchen gewohnt hatte. Eines Abends fragte er ihn lächelnd, oh er richtig geraten habe.
    »Vielleicht ist es so«, antwortete Auguste, sehr überrascht über diese Entdeckung, die er selber machte. »Daran habe ich noch nie gedacht. Ich bin Sie besuchen gekommen, ohne zu wissen warum … Na gut, wenn ich das Augustine sagen würde, da würde sie aber lachen. Wenn es ans Heiraten geht, denkt man kaum noch an Dummheiten.«
    Wenn er gesprächig wurde, so nur, um ewig auf die Fleischerei zurückzukommen, die er mit Augustine in Plaisance aufmachen wollte. Er schien so völlig sicher, sich ein Leben nach seinem Geschmack einzurichten, daß Florent schließlich eine gewisse, mit Gereiztheit gemischte Achtung für ihn empfand. Alles in allem war dieser Bursche sehr tüchtig, so dumm er auch wirkte; er ging geradenwegs auf ein Ziel los und würde es ohne Erschütterungen in einer vollkommenen Glückseligkeit erreichen. An solchen Abenden konnte sich Florent nicht wieder an die Arbeit setzen; mißmutig legte er sich schlafen und fand sein Gleichgewicht erst wieder, wenn er sich dachte: Aber dieser Auguste ist ein Stück Vieh.
    Jeden Monat besuchte er Herrn Verlaque in Clamart. Das bereitete ihm fast eine Freude. Der arme Mann schleppte sich immer noch dahin zur großen Verwunderung Gavards, der ihm nicht mehr als sechs Monate gegeben hatte. Bei jedem Besuch Florents sagte der Kranke, er fühle sich besser und er habe sehr großes Verlangen, seine Arbeit wiederaufzunehmen. Aber die Tage verstrichen; Rückfälle stellten sich ein. Florent setzte sich an sein Bett, erzählte vom Fischmarkt und versuchte ihn ein wenig aufzuheitern. Die fünfzig Francs, die er dem Inhaber des Aufseheramtes von

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