Der Bauch von Paris - 3
seinem Gehalt abtrat, legte er auf den Nachttisch, und obwohl das eine abgemachte Sache war, wurde dieser jedesmal ärgerlich und wollte das Geld nicht annehmen. Dann sprachen sie von etwas anderem; das Geld blieb auf dem Nachttisch liegen. Wenn Florent ging, begleitete ihn Frau Verlaque an die Haustür. Sie war klein, schwach und sehr wehleidig und sprach nur von den Ausgaben, die die Krankheit ihres Mannes verursachte, von Hühnerbrühe, von nach englischer Art gebratenem Fleisch, von Bordeauxwein, von Apotheker und Arzt. Diese Jammerreden setzten Florent in große Verlegenheit. Die ersten Male begriff er nicht. Als die arme Frau schließlich immerzu weinte und erwähnte, wie glücklich sie mit dem Aufsehergehalt von achtzehnhundert Francs gewesen waren, bot ihr Florent schüchtern an, ihr etwas zukommen zu lassen, was ihr Mann nicht erfahren solle. Sie sträubte sich, und ohne Übergang versicherte sie von sich aus, daß ihr fünfzig Francs genügen würden. Aber im Laufe des Monats schrieb sie noch des öfteren an ihn, den sie ihren Retter nannte. Sie hatte eine kleine, steile Handschrift und beschrieb drei Seiten mit billigen und demütigen Redensarten, um zehn Francs zu erbitten. So wanderten schließlich die hundertfünfzig Francs des Angestellten ganz und gar zu den Verlaques. Der Mann wußte offensichtlich nichts davon, und die Frau küßte Florent die Hände. Diese gute Tat war für Florent ein großer Genuß; er verheimlichte sie wie ein verbotenes Vergnügen, das er sich selbstsüchtig aneignete.
»Dieser verteufelte Verlaque macht sich über Sie lustig«, meinte Gavard mitunter. »Jetzt, wo er von Ihnen eine Rente bezieht, hegt und pflegt er sich.«
Florent gab ihm schließlich eines Tages zur Antwort:
»Das ist doch vereinbart, ich überlasse ihm nicht mehr als fünfundzwanzig Francs.«
Florent hatte übrigens keinerlei Bedürfnisse. Die Quenus gaben ihm Essen und Wohnung. Die paar Francs, die ihm noch blieben, genügten, abends bei Herrn Lebigre seine Zeche zu bezahlen. Allmählich hatte sich sein Leben wie ein Uhrwerk geregelt: er arbeitete auf seiner Stube, gab dem kleinen Murx weiterhin zweimal in der Woche von acht bis neun Uhr Stunden, gewährte einen Abend der schönen Lisa, um sie nicht zu verärgern, und verbrachte die übrige Zeit in dem verglasten kleinen Gelaß mit Gavard und seinen Freunden.
Zu den Méhudins kam er mit der etwas steifen Liebenswürdigkeit eines Lehrers. Die alte Behausung gefiel ihm. Unten ging er durch die faden Gerüche aus der Gemüseküche; in einem kleinen Hof standen Kessel mit Spinat und Schüsseln mit Sauerampfer zum Abkühlen. Dann ging er die Wendeltreppe hinauf, die schmierig vor Feuchtigkeit war und deren eingesunkene und ausgehöhlte Stufen sich beängstigend senkten. Die Méhudins bewohnten das ganze zweite Stockwerk. Als der Wohlstand gekommen war, hatte die Mutter niemals ausziehen wollen trotz der dringenden Bitten beider Töchter, die davon träumten, ein neues Haus in einer breiten Straße zu bewohnen. Die Alte wurde starrköpfig und meinte, hier habe sie gelebt und hier wolle sie sterben. Übrigens begnügte sie sich mit einer dunklen Kammer und überließ die Zimmer Claire und der Normande. Mit der Machtvollkommenheit der älteren Schwester hatte sich diese des nach der Straße zu gelegenen Zimmers bemächtigt. Es war das große Zimmer, das schöne Zimmer. Claire war darüber so verärgert, daß sie das Nebenzimmer ablehnte, dessen Fenster zum Hof hinausgingen; sie wollte auf der anderen Seite des Flurs in einer Art Dachkammer schlafen, die sie nicht einmal tünchen ließ. Sie hatte ihren Schlüssel, sie war frei; bei der geringsten Meinungsverschiedenheit schloß sie sich ein.
Wenn Florent erschien, beendeten die Méhudins gerade ihr Abendessen. Murx sprang ihm an den Hals. Eine Weile blieb er sitzen, das plappernde Kind zwischen den Beinen. Dann wurde das Wachstuch abgewischt, und der Unterricht begann an einer Ecke des Tisches. Die schöne Normande empfing Florent sehr freundlich. Sie strickte oder besserte Wäsche aus, rückte ihren Stuhl heran und arbeitete unter derselben Lampe. Oft legte sie die Nadel beiseite, um dem Unterricht zuzuhören, der sie in Erstaunen setzte. Bald bekam sie eine sehr große Hochachtung für diesen so gelehrten Burschen, der so sanft wie eine Frau wirkte, wenn er mit dem Kleinen sprach, und der mit einer Engelsgeduld immer die gleichen Ratschläge wiederholte. Auch sie fand ihn keineswegs mehr häßlich, so daß
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