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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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noch eine rücksichtslosere Feindin. Sobald er erschien, stand Claire, ohne ein Wort zu sagen, auf, nahm einen Leuchter und ging in ihre Kammer auf der anderen Seite des Flurs. Man hörte, wie sie in kalter Wut zweimal den Schlüssel herumdrehte. Eines Abends, als ihre Schwester den Lehrer zum Essen einlud, kochte sie für sich auf dem Treppenflur und aß in ihrer Kammer. Oft schloß sie sich so streng ab, daß man sie eine volle Woche lang nicht sah. Sie blieb immer weich mit ihren eisenharten Launen und den Blicken eines mißtrauischen Tieres unter ihrem fahlroten Haarschopf. Mutter Méhudin, die glaubte, bei ihr ihrem Herzen Luft machen zu können, brachte sie in Wut, wenn sie über Florent sprach. Außer sich schrie die Alte dann überall aus, sie würde auf und davon gehen, wenn sie nicht fürchtete, daß sich ihre Töchter dann gegenseitig auffräßen.
    Als Florent eines Abends fortging, ging er an Claires Tür vorbei, die weit offenstand. Er sah, wie sie ihn mit hochrotem Gesicht anblickte. Das feindselige Verhalten des jungen Mädchens bekümmerte ihn; allein seine Schüchternheit bei Frauen hielt ihn davon ab, eine Erklärung herbeizuführen. An diesem Abend wäre er bestimmt in ihre Stube getreten, wenn er nicht im Stockwerk darüber Fräulein Sagets kleines weißes Gesicht bemerkt hätte, das sich über das Geländer beugte. Er ging vorbei und war keine zehn Stufen hinabgestiegen, als hinter seinem Rücken Claires Tür so heftig zugeschlagen wurde, daß das ganze Treppenhaus erzitterte. Bei dieser Gelegenheit kam Fräulein Saget zu der Überzeugung, daß Frau Quenus Vetter mit beiden Schwestern Méhudin schlafe.
    Florent dachte kaum an diese hübschen Mädchen. Er behandelte die Frauen wie ein Mann, der überhaupt kein Glück bei ihnen hat. Außerdem verausgabte er seine Manneskraft zu sehr in Träumen. Mit der Zeit empfand er eine wirkliche Freundschaft für die Normande; sie hatte ein gutes Herz, wenn sie nicht ihren Kopf aufsetzte. Aber niemals ging er weiter. Wenn sie abends unter der Lampe ihren Stuhl heranzog, wie um sich über die von Murx beschriebene Seite zu beugen, spürte er sogar ihren mächtigen und warmen Körper mit einem gewissen Unbehagen neben sich. Mit ihrem riesigen Busen wirkte sie allzu gewaltig, schwer und fast beunruhigend auf ihn; er wich mit seinen spitzen Ellbogen, seinen dürren Schultern zurück, von der unbestimmten Furcht ergriffen, in dieses Fleisch hineinzustoßen. Seine mageren Knochen hatten Angst bei der Berührung mit üppigen Brüsten. Er senkte den Kopf und machte sich noch dünner, behelligt von dem starken Hauch, der von ihr aufstieg. Wenn ihr Jäckchen ein wenig auseinanderstand, glaubte er zwischen den zwei weißen Hügeln einen Dunst von Leben, einen Atem von Gesundheit hervorkommen zu sehen, der ihm noch heiß über das Gesicht strich, gleichsam gewürzt mit einer Prise Markthallengestank an glühenden Juliabenden. Es war ein beharrlicher Duft, der der seidenfeinen Haut anhaftete, ein Seefischschweiß, der von ihren prachtvollen Brüsten, ihren königlichen Armen, ihrer geschmeidigen Taille rann und ein herbes Aroma in ihren Frauengeruch brachte. Sie hatte alle duftenden Öle versucht; sie wusch sich unter fließendem Wasser, aber sobald die Frische des Bades verflog, führte das Blut die Fadheit der Lachse, den veilchenartigen Moschus der Stinte, die Schärfe der Heringe und Rochen bis in die Spitzen ihrer Glieder. Das Wiegen ihrer Röcke entfachte einen Brodem; sie schritt inmitten von Verdunstung schlammiger Algen. Mit ihrem Leib einer Göttin, ihrer wundervollen Reinheit und Blässe, glich sie einer schönen antiken Marmorstatue, die vom Meer angespült und im Netz eines Sardinenfischers ans Land gezogen worden war. Florent litt; die Sinne aufgebracht von den Nachmittagen auf dem Fischmarkt, begehrte er sie keineswegs. Er fand sie aufreizend, zu salzig, zu bitter, von allzu üppiger Schönheit und zu starkem muffigem Geruch.
    Was Fräulein Saget anging, so schwor sie hoch und heilig, daß er ihr Liebhaber sei. Sie hatte sich mit der schönen Normande wegen einer Kliesche für zehn Sous überworfen. Seit diesem Zwist bezeigte sie eine große Freundschaft für die schöne Lisa; sie hoffte so schneller das in Erfahrung zu bringen, was sie als »den dunklen Punkt der Quenus« bezeichnete. Da sie aus Florent weiterhin nicht schlau wurde, war sie ein Leib ohne Seele, wie sie sich selber ausdrückte, ohne die Ursache ihres Kummers einzugestehen. Ein Mädchen, das

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