Der Baum des Lebens
selbstbewusst übernahm Guter Gefährte die Führung des Zuges. Rechts neben ihm schleppte Gazelle ihren dicken Bauch und ihre hängenden Zitzen und konnte das Tempo kaum mithalten. Doch das Weibchen hätte auf gar keinen Fall dieses große Fest verpassen wollen. Sie ging mit erhobenem Kopf und ließ sich nicht abhängen.
Vor einer Stele, in die Sesostris’ Namen eingeritzt waren, blieben die zwei Hunde schließlich stehen.
»Verehrt den Pharao aus tiefstem Herzen«, erklärte Sehotep. »Lasst eure Gedanken von seinem Glanz erleuchten und tragt dazu bei, dass man ihm den Respekt zollt, der ihm zusteht. Er schenkt Leben. Wer seinen Weg geht, dem erweist er sich als großzügig. In meinem Amt als Träger des königlichen Siegels erkläre ich hiermit die Zugehörigkeit dieser Provinz zur Doppelkrone.«
Sarenputs Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln, und er verneigte sich vor Sesostris.
Zum ersten Mal seit langem konnte sich General Nesmontu entspannen. Und selbst Sobek fühlte sich zu seiner großen Überraschung einigermaßen sicher. Der König hatte einen weiteren Sieg errungen, ohne dass dafür auch nur ein Tropfen Blut vergossen worden wäre.
»Ich muss zurück zur kleinen Insel Biggeh und mich überzeugen, dass der Energie-Kreislauf nicht mehr gestört ist«, sagte Sesostris zu Sarenput. »Richtet ein Fest aus, in dessen Verlauf ich bekannt geben will, wie der große Tempel von Elephantine verschönert werden soll.«
Die junge Priesterin stand vor der Grotte mit den Quellen des Nils und sah den Pharao herauskommen.
»Die Zeit ist reif für dich, weiterzugehen. Bist du einverstanden?«
»Ich bin bereit, Majestät.«
»Dazu wirst du allen Mut und alle Standhaftigkeit brauchen, deren ein Mensch überhaupt fähig ist. Bist du sicher, dass diese Aufgabe deine Kräfte nicht überfordert?«
»Ich gebe mein Bestes.«
Der Monarch zeigte der jungen Frau einen Uräus aus massivem Gold mit eingearbeitetem Lapislazuli, Türkisen und Karneolen. Diese weibliche Kobra richtete sich auf der Stirn des Pharaos auf, um eine Flamme zu speien, die so mächtig war, dass sie die Finsternis vertrieb, indem sie Maats Feinde vernichtete.
»Berühre dieses Symbol, lass dich von seinem Zauber erfüllen und vertraue der Hand, die dich führt.«
Die Kobra war glühend heiß.
Die Priesterin spürte, wie die Energie der Schlange in ihr Blut überging und ihr neue Kraft verlieh.
Der König betrat die Grotte, die junge Priesterin war nun wieder allein. Aufmerksam genoss sie die Stille, die auf der heiligen Insel herrschte, und machte sich keine Sorgen über das, was sie erwartete. Schon als kleines Kind wollte sie die Geheimnisse des Tempels kennen lernen und wusste, dass der Weg dorthin lang und steinig sein würde. Doch dann hatte jede bestandene Prüfung eine überwältigende Freude in ihr ausgelöst, die sie zielstrebig vorwärts in ein immer weiteres Land schickte. Und nichts hatte ihr bisher diesen Weg versperrt, höchstens das Auftauchen eines jungen Schreibers, der angeblich Iker hieß. Das hätte eigentlich nur eine ganz normale Begegnung sein sollen, aber sie konnte ihn einfach nicht vergessen. Sie dachte an ihn wie an einen Angehörigen, ja fast einen engen Freund, obwohl sie ihn doch nie Wiedersehen würde.
Sieben Priesterinnen in langen roten Gewändern und mit Tamburins in der Hand erschienen und bildeten einen Kreis um die junge Frau.
Dann trat die Oberpriesterin auf sie zu. In der Hand hielt sie eine Perücke in Form eines Geiers und die Kette menât, das Symbol für geistige Geburt.
Die junge Frau erschauderte.
Einzig und allein die Königin von Ägypten, die Herrin über die Zwei Länder, die im Pharao die Vereinigung von Horus und Seth sah, durfte jemand diese rituelle Kopfbedeckung aufsetzen. Das Hieroglyphenzeichen für Geier bedeutete gleichzeitig »Mutter« und »Tod«, weil man den Initiations-Tod sterben musste, um die himmlische Mutter wiederzufinden, deren Verkörperung die Königin war.
»Mögen die sieben Hathoren das Unglück gefangen halten«, befahl sie.
Die Ritualisten entrollten ein rotes Bändchen, mit dem sie die junge Priesterin umwickelten.
»Die Stunde einer neuen Geburt ist gekommen«, verkündete die Königin. »Du wurdest in die Aufgaben einer reinen Priesterin eingeführt, anschließend in die einer Musikerin, die Liebe ausstrahlt. Heute lernst du neue Geheimnisse kennen und wirst eine Erweckte. Die Ehrwürdigen aus dem Haus des Gottes Ptah, die Alten Frauen aus der
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