Der Baum des Lebens
Bericht.«
»Das kommt nicht in Frage. Er ist für Heremsaf und sonst niemand bestimmt.«
»Jetzt zeig schon her! Wir müssen uns doch nichts vormachen.«
»Tut mir Leid, aber das ist unmöglich.«
»Dann sag mir wenigstens, ob dir etwas Außergewöhnliches aufgefallen ist!«
»Diese Feststellung geht, wenn überhaupt, nur meinen Vorgesetzten etwas an.«
»Jetzt haben wir aber genug um den heißen Brei geredet! Hier in Kahun leben wir ruhig und friedlich und können Schnüffler nicht leiden. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«
»Mehr oder weniger.«
»Willst du wirklich Ärger haben?«
»Ich will nur ungestört arbeiten.«
»Wenn du so weitermachst, wirst du damit kein Glück haben! Hör mir gut zu: Diese Silos sind in einwandfreiem Zustand und weisen keinerlei Mängel auf, weil ich mich darum gekümmert habe. Ist das klar?«
»Vollkommen.«
»Na also! Wer sagt’s denn. Man wird sich doch noch einigen können.«
»Ja, jetzt fehlt mir nur noch dein Name. Den werde ich aber ohne Schwierigkeiten herausfinden. Dann weiß ich auch, wer für die schweren Mängel verantwortlich ist, die ich in meinem Bericht schildere.«
»Du machst einen großen Fehler…«
»Niemand kann mich daran hindern, meine Arbeit zu tun.«
Heremsaf rollte den Papyrus wieder auf, den er gerade gelesen hatte.
»Du erhebst schwerwiegende Anschuldigungen, Iker.«
»Sie sind nicht unbegründet. Zwei Silos wurden mit minderwertigen Ziegeln gebaut und müssen deshalb wieder abgerissen werden. Mein Vorgänger hat ein betrügerisches Vorgehen gedeckt und damit der Sicherheit und den Bedürfnissen der Allgemeinheit geschadet.«
»Bist du dir da vollkommen sicher?«
»Ich habe alles genauestens überprüft. Und ich will gar nicht von den Drohungen reden, die dieser Gauner gegen mich ausgestoßen hat! Das ist mir egal. Was mich wirklich umtreibt, ist die Frage: Gibt es eigentlich einen einzigen Ort auf dieser Welt, an dem Wahrheit und Gerechtigkeit herrschen, einen einzigen Ort, an dem man sich auf die anderen verlassen und ihnen trauen kann?«
»Das ist eine falsche und überflüssige Frage«, fand Heremsaf. »Kennst du die Geheimnisse des göttlichen Buches, die Kunst des Ritualisten und die Lehren, die den Seelen der Gerechten erlauben, durch das Weltall zu reisen? Nein, natürlich nicht! Rüste dich lieber aus, anstatt dich wie ein kleiner Dummkopf zu entrüsten.«
»Ich soll mich ausrüsten? – Das hat mir bereits der Stadtvorsteher vorgeschlagen! Aber wie soll das gehen, wenn ich mich um die Speicher kümmern muss?«
»Alle Wege führen zum Ziel, wenn das Herz am rechten Fleck ist. Hier verdient es nur eine einzige Frage, gestellt zu werden: Bist du ein Mensch wie alle anderen, oder bist du ein Sinnsucher?«
50
Sesostris und sein engster Beraterkreis hatten sich gerade die Vorschläge angehört, die Medes für die neuen Bestimmungen verfasst hatte. Dabei hatte er sich bemüht, die Meinung des Monarchen so weit wie möglich zu berücksichtigen, ohne aber die Provinzfürsten Uakha und Sarenput vor den Kopf zu stoßen, die ja inzwischen erklärte Anhänger des Pharaos waren.
»Möchte irgendjemand noch etwas dazu sagen, oder wünscht jemand Änderungen?«
Keiner der Anwesenden meldete sich zu Wort.
»Dann werden die Verfügungen also einstimmig angenommen. Verbreitet sie nun im ganzen Land.«
»Wie soll ich dabei vorgehen, Majestät?«, fragte Medes.
»Fahre zurück nach Memphis und beauftrage den Botendienst damit.«
Vor Angst krampfte sich in Medes alles zusammen.
»Wenn mein Schiff von den Provinzfürsten abgefangen wird, werde ich…«
»Du reist auf einem von Sarenput angeheuerten Handelsschiff und gelangst so ungehindert in die Hauptstadt.«
Fast die ganze Fahrt über ernährte sich Medes nur von trocken Brot und Wasser. Jeden Augenblick befürchtete er einen Angriff feindlicher Truppen, doch das Schicksal war ihm gewogen – wie Sesostris vorhergesagt hatte.
Medes hatte es sehr eilig, wieder an seinen Arbeitsplatz zu kommen, und rief seine wichtigsten Mitarbeiter zusammen, um ihnen die Befehle zu erteilen, die von größter Dringlichkeit waren. Jede noch so kleine Verspätung würde bestraft werden.
Eine Beamtenstelle im Reich des Pharaos zu haben, bedeutete keinen Posten auf Lebenszeit. Man musste sich dieses Vorrechts als würdig erweisen und ständig seinen Pflichten nachkommen.
Medes selbst war ein Arbeitstier. Er merkte sehr schnell, wenn jemand faul war, und entließ ihn
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