Der Baum des Lebens
dann umgehend. Wie üblich verließ er auch an diesem Abend die Räume der Verwaltung als Letzter, was er dazu nutzte, einen Blick auf die laufenden Arbeiten zu werfen. Dabei entdeckte er einen schlecht aufgerollten Papyrus und Tintenkleckse auf neuen Schreibtafeln. Gleich am nächsten Morgen konnten sich die Schuldigen nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen. Es würde nur noch wenige Monate dauern, bis der Sekretär des Königlichen Rates die beste Schreibertruppe von ganz Memphis unter sich hätte, womit er Sesostris beweisen würde, wie wertvoll er war. Wie sollte der Pharao dann noch auf die Idee kommen, einem derart pflichteifrigen Würdenträger zu misstrauen?
Medes ging nicht nach Hause. Er vergewisserte sich, dass ihm niemand folgte, und begab sich dann in die Hafengegend, wo er in einem Labyrinth von kleinen Gassen verschwand, in dem er einen möglichen Verfolger sehr leicht hätte ausmachen können.
Wegen seiner Ernennung und wegen des Tempelbestandes, den Sesostris von ihm haben wollte, war Medes’ Handlungsspielraum so gut wie nicht mehr vorhanden. Durch den Ausfall von unerlaubt abgezweigten Zuwendungen wuchs auch sein geheimes Vermögen nicht weiter an. Er fand aber schnell einen anderen Weg, der sehr viel einträglicher, aber auch gefährlicher war, weil die Sache über einen gerissenen und unehrlichen Mittelsmann lief. Den musste Medes jetzt auf Vordermann bringen, ohne es sich mit ihm zu verderben.
Die prachtvolle Wohnung seines Geschäftspartners verbarg sich in einem einfachen Stadtviertel. Am Eingang wurde er von einem Wächter empfangen.
»Ich will sofort zu deinem Herrn.«
»Er ist nicht zu Hause.«
»Für mich schon. Geh und zeig ihm das hier.«
Medes gab dem Wächter ein kleines Stück Zedernholz, auf das die Hieroglyphe für diesen Baum geschrieben war.
Er musste nicht lange warten. Mit einer tiefen Verbeugung forderte ihn der Türsteher auf, das Haus zu betreten.
In einer langen, übertrieben aufgemachten Robe und viel zu stark parfümiert, kam der Wohnungsinhaber, der aussah wie eine schwergewichtige Amphore, seinem Gast entgegen.
»Bester Freund, welch übergroße Freude, Euch in meiner bescheidenen Behausung empfangen zu dürfen! Tretet ein, bitte, tretet ein!«
Der libanesische Händler führte Medes in einen großen Raum, der mit fremdländischen Möbeln überladen war. Auf niedrigen Tischen standen Gebäck und süße Getränke.
»Ich war gerade dabei, vor dem Abendessen eine Kleinigkeit zu mir zu nehmen. Möchtet Ihr mir dabei Gesellschaft leisten?«
»Ich bin in Eile.«
»Schon gut… Wollt Ihr über geschäftliche Angelegenheiten sprechen?«
»Ja, genau.«
Der Libanese schätzte diese hastige Art überhaupt nicht, aber wenn er in Ägypten erfolgreich sein wollte, musste er sich wohl oder übel damit abfinden.
»Wann trifft die Lieferung ein?«, wollte Medes von ihm wissen.
»Unser Schiff kommt nächste Woche. Ich hoffe, dass alle erforderlichen Genehmigungen vorliegen werden.«
»Dafür sorge ich. Woraus besteht die Fracht?«
»Erstklassiges Zedernholz.«
Ägypten fehlte es an bestimmten Hölzern, die deshalb eingeführt werden mussten. Medes beobachtete diesen Handelsweg schon lange in der Hoffnung, eines Tages in großem Stil daraus Gewinn schlagen zu können. Jetzt musste er nur noch den Kaufmann überzeugen, der seine Ansicht teilte und geschickt genug war, das Unternehmen zum Erfolg zu führen.
»Wie bringst du die Ware an den Mann?«
»Bestens, mein Herr, bestens! Ich habe hier in der Gegend ein paar zuverlässige Verbindungsleute. Ihnen biete ich das Holz für die Hälfte des festgesetzten Kurses an – bezahlbar im Voraus. Nachdem es die Ware sozusagen nie gegeben hat und sie in keiner Aufstellung erscheint, können weder Verkäufer noch Käufer belangt werden. Eure Landsleute lieben gutes Holz. Wenn sie ihre Villen bauen oder es für einen Tischler brauchen, der daraus schöne Möbel machen soll, haben sie keinerlei Hemmungen, es sich zu beschaffen, zur Not auch aus verbotener Quelle.«
»Wenn unser erstes Geschäft erfolgreich ist, wird es viele weitere geben.«
»Seid unbesorgt! Ich habe die besten Leute, die man sich vorstellen kann.«
»Bist du dir darüber im Klaren, dass es ohne mich nicht laufen kann?«
»Ihr seid der Baumeister dieses Unternehmens, das weiß ich sehr gut. Meine Dankbarkeit ist Euch sicher, und…«
»Drei Viertel des Gewinns sind für mich, das letzte Viertel kannst du haben.«
Dem Libanesen blieb beinahe das Herz stehen.
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