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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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seine gesamten Streitkräfte auf den Plan gerufen, und der Pharao stellte fest, dass auch eine mächtige und entschlossene Armee hier nicht siegesgewiss sein konnte.
    Eigenartigerweise sah es nun aber fast so aus, als hätte Sesostris die Führung dieser wohlgenährten und gut ausgerüsteten Truppen übernommen, die ihm in ziemlicher Unordnung folgten. Die Provinzbevölkerung beobachtete dieses merkwürdige Schauspiel und ließ den unerwünschten Gast nicht aus den Augen, der ein Meer von Soldaten um Kopfeslänge überragte.
    Und dann blieb Sesostris plötzlich stehen. »Du da hinten, komm her zu mir«, sagte er und zeigte auf einen klapperdürren Kuhhirten, der so mager war, dass man seine Rippen sehen konnte. Sein Haar war struppig, er trug einen zerschlissenen Lendenschurz und stützte sich auf einen krummen Stock.
    Suchend sah sich die jämmerliche Gestalt um. Ein Soldat tippte ihm auf die Schulter.
    »Du bist gemeint, mein Guter! Also, geh schon.«
    Zögernd setzte sich der Kuhhirte in Bewegung.
    »Geh neben mir her«, befahl ihm der Herrscher.
    Der Viehhirte hatte so viele schlechte Zeiten in den Sümpfen durchgemacht, dass ihm diese Aufgabe nicht unlösbar zu sein schien. Sicher, dieser Hüne war bestimmt eine wichtige Persönlichkeit, aber was spielte das schon für eine Rolle, wenn man nie genug zu essen hatte und jeder neue Morgen nur neues Leid bedeutete?
    Vor dem Palast wurden sie von einem strengen Mann mit einer spitzen Nase erwartet, der ein Szepter in der rechten und einen langen Stab in der linken Hand hielt. Hinter ihm hielt ein Priester eine Standarte hoch, auf der eine Ebenholzstatue des Schakals Upuaut thronte, dem »Wege-Öffner«, dessen Namen der Provinzherr übernommen hatte.
    »Ich bin nicht besonders erfreut, Euch zu sehen«, sagte er zu Sesostris. »Wie ich höre, sollen sich Euch zwei Feiglinge unterworfen haben. Glaubt aber bitte nicht, dass ich das auch tun werde. Der Gott, der mich beschützt, kennt die Geheimnisse der himmlischen und irdischen Wege. Ihm verdanken wir, dass diese Provinz so mächtig ist. Wer sie angreift, wird eine schwere Niederlage erleiden. Herrscht meinetwegen über den Norden, aber lasst mein Gebiet in Ruhe.«
    »Du bist nicht würdig zu befehlen«, entgegnete der Pharao.
    »Wie könnt Ihr es wagen…«
    Sesostris schob den abgemagerten Viehhirten vor. »Da, wie kannst du zulassen, dass auch nur ein einziger Bewohner deiner Provinz in solchem Elend versinkt? Deinen Truppen fehlt es an nichts, aber deine Bauern verhungern. Du gibst dich so stark, dass du sogar dem Pharao die Stirn bieten willst, aber dabei verrätst du Maat und betrügst deine Bevölkerung, für deren Wohlergehen du zu sorgen hast. Wer würde schon für einen derart jämmerlichen Führer kämpfen oder sogar sterben wollen? Für dich gibt es nur eine einzige Lösung: Du musst das Unglück, das du angerichtet hast, wieder in Ordnung bringen, und zwar im Einvernehmen mit dem Herrn der Zwei Länder.«
    »Mein Beschützer, der Schakal, möge den Angreifer vernichten!«, rief der Provinzfürst.
    Die Statue bewegte sich auf Sesostris zu.
    Und alle glaubten, dass jetzt gleich das Raubtier seinen Rachen öffnen würde. Der Monarch berührte seinen Brustschild, auf dem ein Geier zu sehen war, wie er die Mächte des Chaos und die Feinde Ägyptens vernichtete. Als Träger der Doppelkrone stellte er die Oberhoheit des Pharaos über beide Länder dar – den Norden und den Süden.
    Zum Erstaunen aller Anwesenden verneigte sich der Schakal.
    Upuaut, der Wege-Öffner, hatte Sesostris soeben als seinen Herrn anerkannt.
    Die Truppen ließen ihre Waffen auf den Boden fallen.
    Der Fürst begriff, dass ihm kein einziger seiner Soldaten gehorchen würde, und legte Szepter und Befehlsstab zur Seite.
    »Es stimmt, dass ich die Reichtümer meiner Provinz in die Ausrüstung meiner Truppen gesteckt habe, aber ich hatte Angst vor einem Einmarsch.«
    »Warum sollte denn der Pharao sein eigenes Land einnehmen? Ich bin Einheit und Vielfalt in einem. Die eine schließt die andere nicht aus, die Zweite kann es nicht ohne die Erste geben. Wenn diese Gemeinschaft verwirklicht ist, muss kein Viehhirte mehr Not leiden.«
    »Verschont mich vor einer peinlichen Verurteilung und tötet mich auf der Stelle.«
    »Warum sollte ich einen treuen Diener des Königreichs beseitigen?«
    Upuaut fiel vor dem Herrscher auf die Knie und hob die Hände zum Zeichen seiner Verehrung.
    »Vor den Einwohnern deiner Provinz hast du mir die Treue

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