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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Stirn. »Worin besteht das Hindernis?«
    »Sie ist Ausländerin, ziemlich schüchtern und braucht vielleicht eine besondere Erlaubnis dazu.«
    »Wie heißt sie denn?«
    »Bina.«
    Heremsaf wurde zornig. »Nein, nicht ausgerechnet die! Hüte dich bloß vor dieser Frau, die hier keiner wirklich kennt. Sie ist wie ein tiefes Wasser, das tausend und eine Gefahr birgt. Halte dich ja von ihr fern!«
    »Sie arbeitet schließlich hier und…«
    »Das liegt nur an der Menschlichkeit unseres Stadtvorstehers, der sie nicht wieder nach Asien zurückschicken wollte. Das ist ein Befehl: Halte dich von ihr fern. Der Geist hat das Wesen eines Vogels, der Körper ähnelt dem Wesen eines Fisches. (Der Geist oder die Seele, ka, wird als Vogel geschrieben, der Körper, khet, als Fisch.) Er verdirbt durch den Kopf, und dein Kopf ist krank, mein Junge! Ist es etwa nicht dein Ziel zu schreiben? Oder hast du vergessen, dass es nur eine wertvolle Schrift gibt, nämlich die, die uns hilft, Maat zu erkennen, die Gerechtigkeit des Universums und die Aufrichtigkeit des Wesens? Maat sagen und Maat tun, bedeutet, hirnlose Leidenschaften und unüberlegte Begeisterung auszuschließen. Deine Fähigkeiten, dein Innenleben, dein Beruf und dein Verhalten sollen ein ausgewogenes Gleichgewicht bilden. Wenn du glaubst, du kannst ein guter Schreiber und gleichzeitig ein gewöhnlicher Mensch sein, verlässt du das Reich Maats und den einzigen Weg zur Erkenntnis. Die du im Übrigen auf keinen Fall mit Wissen oder Kenntnis verwechseln darfst! Du kannst jahrelang lernen, ohne jemals irgendetwas zu erkennen. Erkenntnis gibt es nur über Erleuchtung, und ihr wahres Ziel ist der Mysterienkult. Aber wer würde ohne Initiation danach streben? Lass mich jetzt allein. Ich habe noch ein gutes Dutzend Berichte durchzuarbeiten.«
     
     
    Iker verstand nicht, warum Heremsaf so erbost war. Was konnte denn schon so gefährlich sein an einem jungen Mädchen, das nur etwas lernen wollte? Weder reich noch aus gutem Hause zu sein, dafür aber eine Waise und Ausländerin – war das nicht genug an Benachteiligung! Warum musste man ihr das Leben noch schwerer machen, indem man ihr jede Möglichkeit versagte, ihre Stellung zu verbessern?
    Aber auch wenn sich Heremsaf in Bezug auf Bina täuschen sollte, hatte er doch entscheidende Dinge ausgesprochen.
    Iker streckte sich auf seine Matte und legte das magische Elfenbeinamulett auf seine Brust, das über seinen Schlaf wachte.
    Das hübsche Gesicht der Asiatin verschwand und machte dem der jungen Priesterin Platz.
    Iker vergaß seine Müdigkeit, Bina und Heremsaf. Die Frau, die er liebte, war so schön, dass alle Prüfungen und alles Leid wie weggewischt waren.
    Im Vergleich zu ihr besaß die verführerische Asiatin keinerlei Liebreiz.
    Iker wusste, dass sie sein – unerreichbares – Glück war. So unerreichbar wie die gedungenen Mörder des Pharaos, deren Spur er noch nicht hatte finden können. Aber hier in Kahun verbarg sich ein entscheidender Hinweis, das spürte er.
    Iker versank in Schlaf und träumte, dass er zärtlich ihre Hand hielt und sie zusammen durch eine sonnenbeschienene Landschaft gingen.
     
     
    Gegenwärtig war nicht daran zu denken, Zutritt zu den Archiven zu bekommen. Dazu hätte Iker Heremsaf um eine besondere Genehmigung bitten müssen, die ihm dieser sicher nicht erteilt hätte, ohne die Gründe für seine Neugier zu erfahren. Also begnügte er sich damit, seine neue Aufgabe zu erledigen, ohne dabei allerdings sein eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren. Falls seine Gegner darauf hofften, seine Entschlossenheit würde mit der Zeit nachlassen, täuschten sie sich. Iker wollte eindeutige Beweise. Und sobald er sie hatte, würde er handeln.
    Auf dem Weg zu den alten Lagerhäusern traf er Bina, die einen Korb mit Kuchen auf dem Kopf trug.
    »Hast du etwas wegen mir unternommen?«
    »Ich habe mit meinem Vorgesetzten gesprochen. Er stand meinem Vorschlag vollkommen ablehnend gegenüber.«
    »Das muss ein sehr harter Mann sein. Mir scheint, du bist hier in Kahun der Schreiber, der am meisten arbeitet.«
    Iker lächelte. »Ich möchte einfach nur meinen Beruf richtig lernen.«
    »Ach so«, sagte sie und machte ein enttäuschtes Gesicht, »dann lerne ich also nie lesen und schreiben!«
    »Sag das nicht! Heremsaf wird nicht immer und ewig mein Vorgesetzter sein, ich finde schon noch jemand, der etwas mehr Entgegenkommen zeigt. Du musst mir nur Zeit lassen.«
    Bina stellte ihren Korb ab und ging langsam um Iker

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