Der Baum des Lebens
erhob sich mühsam.
»Bitte verzeiht mir, Majestät, ich leide an starken Rheumaschmerzen und friere ständig. Aber immerhin bin ich noch gesund genug, um dem Herrscher über Ober- und Unterägypten die Ehre meiner Provinz zu erweisen.«
Mit drei Tragesesseln wurden der Pharao, der Provinzherr und General Sepi zum großen Thot-Tempel gebracht. Vor seiner Fassade stand die Statue.
»Das ist die Verkörperung Eures ka, Majestät«, erklärte Djehuti. »Jetzt müsst Ihr ihm nur noch das letzte Licht schenken, das ihn für immer lebendig macht.«
Sepi reichte Sesostris eine Keule, die aus Abydos stammte und dort bei den Feierlichkeiten der Mysterien des Osiris geweiht worden war. Der König erhob sich und deutete damit auf die Augen, die Nase, die Ohren und den Mund des Standbilds. Bei jeder seiner Bewegungen kam ein Lichtstrahl aus der Spitze der Keule. Der Stein wurde von Erschütterungen durchzogen, und jeder spürte, dass ein Teil des königlichen ka von nun an in Thots Stadt anwesend war.
Dann gab es ein prunkvolles Festmahl: erlesene Speisen, ein Orchester, das auch am Hof in Memphis hätte spielen können, junge Tänzerinnen, die akrobatische Figuren vorführten. Die Hübscheste von ihnen tauschte zärtliche Blicke mit Sehotep, dem Siegelträger, aus, der für ihren Liebreiz sehr empfänglich war. Das einzige Kleidungsstück, das die Künstlerin trug, war ein Perlengürtel.
Doch Djehuti stellte fest, dass sich der Pharao nicht entspannen konnte.
»Ich lebe gern, Majestät, und ich bin stolz auf den Wohlstand dieser Provinz. Trotzdem kann ich klar denken. Indem Ihr für eine großartige Nilschwemme gesorgt habt, habt Ihr bewiesen, dass nur Ihr würdig seid, über ein wieder vereinigtes Ägypten zu herrschen. Meine Treue ist Euch sicher, ich bin Euer ergebener Diener. Befehlt nur, ich gehorche.«
»Bist du darüber unterrichtet, welches Unglück uns widerfahren ist?«
»Nein, Majestät.«
Ein Blick zu General Sepi bestätigte, dass Djehuti die Wahrheit sagte.
»Osiris’ heiliger Baum ist schwer krank«, sagte der König.
»Der Lebensbaum?«
»Ja, Djehuti.«
Der Provinzfürst schob seinen Teller weg – der Appetit war ihm vergangen.
»Wie konnte das geschehen?«
»Es ist wohl ein böser Zauber.«
»Könnt Ihr nichts dagegen unternehmen?«
»Ich kämpfe jeden Augenblick darum. Im Augenblick ist der Verfall aufgehalten. Aber für wie lange? Der Bau eines Tempels und einer ewigen Ruhestätte wird für beträchtliche Energie sorgen, und ich bin überzeugt, dass ein einiges Ägypten diesen Kampf unterstützen wird. Kannst du mir schwören, dass du unschuldig bist und an keinem Anschlag zur Zerstörung der Akazie beteiligt warst?«
Djehuti schien sich zu Tode zu frieren und wickelte sich fester in seinen Mantel.
»Wenn ich schuldig bin, sollen mein Name ausgelöscht, meine Familie vernichtet, mein Grab zerstört und mein Leichnam verbrannt werden! Das sage ich in Gegenwart des Pharaos, dem Bürgen für Maat.« Djehutis Stimme bebte vor Erregung.
»Ich weiß, dass du nicht lügst«, sagte Sesostris.
»Diese Provinz gehört dir, genauso wie ihre Reichtümer und ihre Truppen. Rettet Ägypten, Majestät, rettet sein Volk, hütet das Geheimnis der Auferstehung!«
An Sesostris’ Verhalten erkannte Djehuti, dass er ihm zu Recht Vertrauen geschenkt hatte. Wenn es einen einzigen Menschen gab, der den Lebensbaum retten konnte, dann war sicher er das.
Einer der Gäste ergriff das Wort: »Ich bin der Ritualist, der einem jungen Schreiber geholfen hat, das Standbild hierher zu befördern – und das war alles andere als einfach! Der Schreiber heißt Iker und hat diese Provinz inzwischen verlassen. Das ist aber kein Grund, seinen Mut zu vergessen, deshalb schlage ich vor, dass wir auf seine Gesundheit trinken. Ohne ihn wäre es uns nicht gelungen, diese riesige Statue bis zum Tempel zu bewegen.«
Djehuti pflichtete ihm bei, und die ganze Gesellschaft trank auf Ikers Wohl. In der allgemeinen Heiterkeit blieb es dann auch nicht bei diesem einen Trinkspruch.
Sesostris hatte Djehuti und General Sepi zu seinem engsten Beraterkreis geladen.
»Eure Anwesenheit hier ist kein Ehrenamt«, erklärte er ihnen. »Hier werden Entscheidungen getroffen, und es wird gehandelt. Seit ich Elephantine besucht habe, konnte ich die Provinzen erobern, die mir feindlich gesinnt waren, ohne einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen. Jetzt ist nur mehr eine übrig, woraus ich den Schluss ziehen muss, dass Chnum-Hotep,
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